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DER STANDARD-Kommentar: "Der Rechtsstaat ist aus dem Lot" von Alexandra Föderl-Schmid

Geschrieben am 01-08-2014

Urteile, Hausräumung: Das Vertrauen der Bürger in Polizei und
Justiz ist erschüttert (Ausgabe ET 2.8.2014)

Wien (ots) - In den vergangenen Wochen gab es eine Vielzahl an
Ereignissen, die Justiz und Polizei beschäftigt haben - und damit die
Öffentlichkeit: die Hausbesetzung in Wien, Prozesse gegen
Tierschützer, Josef S., den Sprayer "Puber", Asylwerber aus der
Votivkirche, die Ausschreitungen in Bischofshofen, der
Identitären-Aufmarsch. Am Umgang mit diesen Fällen gab es Kritik, die
die Richtervereinigung nun zu einem offenen Brief veranlasst hat.
Darin heißt es: Sachliche Kritik sei zulässig. "Es ist jedoch nicht
Aufgabe der Staatsanwaltschaften und Gerichte, Erwartungshaltungen
der Öffentlichkeit, der Politik oder einzelner Medienvertreter zu
erfüllen. Politische Motivation findet bei der Entscheidungsfindung
ebenso wenig Raum wie die Erfüllung öffentlich zum Ausdruck
gebrachter Rache- oder Freispruchsgelüste."

Das ist bemerkenswert. Wer Kritik am - nicht rechtskräftigen -
Urteil gegen Josef S. übt, hat Rachegelüste? Der Spruch beruht auf
der Aussage eines einzelnen Polizisten, der sich mehrfach
widersprochen hat. Eindrücke, hier wurde der rechtsstaatliche
Grundsatz, im Zweifel für den Angeklagten, nicht berücksichtigt, sind
Freispruchsgelüste?

Dass der Tierschützerprozess so lange gedauert hat, ist nicht dem
hundert Tage eingesperrten Martin Balluch anzulasten. Seine Klage auf
Entschädigung wurde diese Woche abgewiesen: Die dreijährige Frist sei
verstrichen; er hätte schon zum Zeitpunkt seiner Verhaftung seine
Schadenersatzansprüche sichern müssen, lautet die Begründung. Hätte
nicht jeder Mensch die Klage erst nach dem Freispruch eingebracht?

Es gibt nicht nur bei Journalisten den Eindruck, der Rechtsstaat
sei aus dem Lot. Dazu tragen auch jüngste Polizeieinsätze bei. Wer
insgesamt rund 1700 Einsatzkräfte zur Räumung eines Hauses
aufmarschieren und Panzerfahrzeuge auffahren lässt, und dann 19 Punks
festgenommen wurden, muss sich die Frage gefallen lassen, ob der
Einsatz in dieser Form gerechtfertigt und verhältnismäßig war. Die
Antwort auf Fragen, wie viele Beamte es genau waren und wie hoch die
Kosten, wird Steuerzahlern bisher verweigert. Über eine
parlamentarische Anfrage wurde diese Woche bekannt, dass im Mai beim
Marsch der rechten Identitären und der Gegendemos mit insgesamt 600
Personen 110 Polizisten in Zivil waren. Auch da stellt sich die Frage
der Verhältnismäßigkeit. Wurden Zivilbeamte bei der
Teilnehmerstatistik mitgezählt - und auf welcher Seite?

Dabei versichert Konrad Kogler, Generaldirektor für öffentliche
Sicherheit: "Wir verstehen uns als Bürgerpolizei." Dass Polizisten
ein Urteil exekutieren, das von Immobilienspekulanten erwirkt wurde,
die die Punks selbst geholt hatten zur Vertreibung anderer Mieter,
ist ein weiterer Grund für rechtsstaatliches Unbehagen. Dabei geht es
nicht nur um die Kosten.

Schuld sind die Medien, meint der frühere Strafrecht-Sektionschef
Roland Miklau in einem Standard-Gastkommentar: "Muss man das im
Rechtsstaat wichtige Grundvertrauen der Bevölkerung in die Justiz
durch unbedarfte und generalisierende Darstellungen untergraben?"

Doch Fragen an Justiz und Exekutive müssen gestellt werden. Es
geht nicht um Gelüste, wie die Richter insinuieren. Die Erwartung der
Bürger ist, dass rechtsstaatliche Prinzipien eingehalten werden und
eingesetzte Mittel des Staates verhältnismäßig sind. Dieses Vertrauen
ist erschüttert.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom

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