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DER STANDARD-Kommentar: "Land der vorletzten Verantwortung" von Lisa Nimmervoll

Geschrieben am 15-05-2014

Bifie: Wem SPÖ und ÖVP gemeinsam geben, dem nehmen sie auch
gemeinsam
(Ausgabe ET 16.5.2014)

Wien (ots) - Na, das ist doch mal eine tatkräftige Lösung eines
politischen Problems! Die zwei Direktoren des Bundesinstituts für
Bildungsforschung, Innovation und Entwicklung des österreichischen
Schulwesens (Bifie) werden aus ihrem Amt entfernt. Die Regierung,
allen voran die im Fahrwasser der Zentralmatura weiter unter Druck
geratene Unterrichtsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ), atmet
auf. Problem erkannt, Problem gelöst, weiter im Programm.

Es ist ein sehr österreichisches Drama, das sich am und mit dem
Bifie abspielt. Es zeigt vor allem, wie hier regiert und
Verantwortung getragen wird. Man lässt sie tragen im Land der
rhetorischen "Letztverantwortung", die die Politikerinnen und
Politiker "natürlich" eh selbst tragen. Schön für sie, schön blöd für
alle anderen im Staat.

Schon die Konstruktion des Instituts zeigt, welchen Geist das
Bifie-Gesetz von 2008 atmet: Man wollte offenkundig ein paar
willfährige Schoßhündchen als Begleitschutz für die Bildungspolitik -
und keine unabhängigen Wachhunde, die mittels wissenschaftlicher
Studien auch unliebsame Informationen über den Zustand des
Bildungssystems liefern.

Die unglückselige, aber natürlich vorsätzlich kurze Leine zwischen
Ministerium und Bifie ist eines der größten Hindernisse für die
Arbeit dieses Instituts, an dem unbestritten einige der besten
Bildungsforscher Österreichs - selbst von scharfen Kritikern
anerkannt - tätig sind. Warum? Das wissen wir dank Günter Haider, der
das Bifie fünf Jahre leiten durfte, zu frech, sprich unabhängig war
und dann gehen musste. Er hat das politische Schweigekartell in
Sachen Bifie gesprengt und erzählt, wie Studien auf ministerielle
Anweisung nicht veröffentlicht werden durften, weil Kanzler Werner
Faymann (SPÖ) im Wahljahr "keine Brösel" wollte.

Na dann. Sitz! Platz! Brav.

Das ist abartig im Zusammenhang mit Wissenschaft, die diesen Namen
verdienen soll, und es zeigt, wie wenig diese Politikergarde mit dem
Wort "Forschung" anfangen kann.

Das Bifie-Gesetz gehört schleunigst entpolitisiert. Es wäre ein
souveräner Akt, wenn Heinisch-Hosek mit der ÖVP die politischen
Durchgriffsrechte auf das Bifie kappen ließe, die systemwidrig ins
Bifie verschobenen Hoheitsaufgaben wie die Zentralmatura, bei der es
um ein staatliches Zertifikat geht, das demokratisch legitimiert sein
muss, in den Verantwortungsbereich des Ministeriums verschieben und
die Bifie-Leitung in unabhängige Wissenschafterhände legen würde.

Nur eine Frage bleibt noch: Warum müssen eigentlich beide
Direktoren, auch jener, der nicht für die Zentralmatura zuständig
war, gehen? Ach ja! Da war doch was. Proporz! Wem SPÖ und ÖVP
gemeinsam geben, dem nehmen sie auch gemeinsam. Wenn "unserer"
wegsoll, dann muss "eurer" auch raus. Das nennt sich "Koalition" -
oder institutionalisierte Raubritterschaft auf Kosten eines ganzen
Landes.

Und so bleibt Österreich, was es ist: das Land der vorletzten
Verantwortungsträger. Man mag sich gar nicht ausmalen, was passieren
würde, wenn wirklich einmal etwas Großes passieren würde und
tatsächlich die "letzte Verantwortung" schlagend würde. Dann müsste
ja das oberste Regierungsduo in trauter Proporzeintracht
zurücktreten. Nicht auszudenken.

Nicht? Doch. Es wäre ein befreiender Kulturbruch für dieses Land,
das unter dem rot-schwarzen Filz langsam zu kollabieren droht.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom

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