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DER STANDARD-Kommentar: "Der düstere Halbmond" von Eric Frey (Ausgabe vom 20. 1. 2014)

Geschrieben am 19-01-2014

Die politisch-ökonomische Krise der islamischen Welt hat
geopolitische Brisanz

Wien (ots) - Hundert Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs
sind die großen geopolitischen Trends der Gegenwart in aller Munde -
der Aufstieg Chinas, die Krise Europas oder die Zukunft der USA. Aber
ein Phänomen, das täglich die Schlagzeilen füllt, wird in seinen
globalen Auswirkungen viel zu wenig beachtet: der politische und
wirtschaftliche Niedergang der islamischen Welt. Von Libyen bis nach
Pakistan reicht der Bogen von Staaten, die in Gewalt, Repression oder
Bürgerkrieg versinken und dadurch auch wirtschaftlich immer weiter
zurückfallen. Die historischen arabischen Kernländer Syrien und Irak
sind auf dem Weg zu "failed states", die auch Nachbarländer wie den
Libanon in den Abgrund ziehen;_politische Stabilität in Ägypten
bleibt auch nach dem Verfassungsreferendum eine vage Hoffnung. Galt
die Türkei noch vor einigen Jahren noch als demokratisch und
marktwirtschaftliches Vorbild für andere islamische Staaten, so gerät
es jetzt selbst ins despotische Fahrwasser. Und ob der Iran
tatsächlich einen neuen Weg einschlagen kann, der seinen Bürgern ein
besseres Leben ermöglicht, bleibt offen. Bloß das immer schon
privilegierte Tunesien bietet etwas Grund für Optimismus. Der Bogen
der Agonie spannt sich noch weiter bis Bangladesch und dehnt sich
auch in Afrika aus, wo die positiven Beispiele für politische
Vernunft und Wachstum auf die nicht?islamischen Länder südlich der
Sahara beschränkt sind - mit Südsudan als erschreckende Ausnahme.
Islam als Religion trägt an diesen Entwicklungen selbst keine Schuld,
er bildet aber das Biotop, in dem Radikalität, Sektarismus und
Repression florieren und Ideen sich rasch ausbreiten. Deshalb sind
auch erfolgreiche islamische Staaten wie Indonesien und Malaysia vor
dem jihadistischen Virus nicht immun. Und auch in Indien könnte sich
nach einem hindu-nationalistischen Wahlsieg der Konflikt mit der
riesigen muslimischen Minderheit zur größten Herausforderung
ent?wickeln. Der Verfall einer ganzen Weltregion mit mehr als einer
Milliarde Menschen hat schon viel früher begonnen - der Arab Human
Development Report von 2002 warf ein grelles Licht auf dessen
kulturelle und soziale Ursachen - und hat sich seit Ausbruch des
Arabischen Frühlings vor drei Jahren beschleunigt. Der Aufstand der
urbanen Mittelschicht gegen wirtschaftliche Trostlosigkeit hat deren
Lebenschancen nur noch weiter verdüstert. Was hier zwischen Europa,
Afrika und Asien geschieht, berührt den Rest der Welt auf
unterschiedliche Weise. Vor allem Europa ist der Gefahr einer
unkontrollierbaren Migration von außen und der Radikalisierung im
Inneren ausgesetzt. Da Abschottung unmöglich ist, müssen Wege
gefunden werden, die Entfremdung der eigenen muslimischen Bürger zu
stoppen. In Russland verstärkt die Gewalt im muslimischen Kaukasus
die autoritären Tendenzen in Moskau und schwächt so die ohnehin
bedrängte Zivilgesellschaft. Auch für China ist der Aufruhr in seiner
islamischen Peripherie ein wachsendes Problem. Die USA_sind am
wenigsten betroffen, auch weil dank Schiefergas und -öl ihre
Abhängigkeit von der Golfregion sinkt. Dies dürfte die
isolationistischen Tendenzen in der US-Politik nur weiter
verschärfen. Auch wenn viele den Rückzug der einzigen Ordnungs- und
Supermacht aus der Region begrüßen - den Zerfallsprozess wird dies
nur weiter beschleunigen.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom

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