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"DER STANDARD"-Kommentar: "Unrecht mit Unrecht bekämpfen" von Andrea Schurian

Geschrieben am 15-11-2013

Fall Gurlitt zeigt: Wir bewegen uns auf rechtlich schwierigem
Terrain (ET 16.11.2013)

Wien (ots) - Intrige am Kunstmarkt? Familienfehde (wer hat
übrigens bei den anderen Gurlitt-Familienmitgliedern geschaut, was es
da an Sammelbeständen gibt)? Sippenhaftung?

Tägliche Hatz vulgo überdosierte Sensationsberichterstattung zu
Cornelius Gurlitt, der sich - verdächtig! - nie bis selten auf
Familienfesten blicken ließ; der zu Nachbarn - kauzig! - Distanz
hielt, unerkannt durch Einkaufszentren streifte und - sein
Verhängnis! - mit 9000 Euro in der Manteltasche von München nach
Zürich reiste. Letzteres brachte den "Kunstskandal" ins Rollen, seine
mehr als tausend Werke umfassende Kunstsammlung wurde bekanntlich
beschlagnahmt. (Da hatte Herr Gurlitt Pech, unser ehemaliger schöner
Finanzminister transportiert nicht läppische 9000 Euro, sondern
prallgefüllte Geldkoffer für die Schwiegermama von hier nach da. Aber
das ist eine andere, peinliche Geschichte.)

Nun können wir also erste Reihe fußfrei und mit erhöhtem
Unwohlsein miterleben, wie rasant nach einjährigem behördlichem
Schockschweigen und staatsanwaltlicher Hilflosigkeit massenmediale
Hyperventilation gepaart mit politischen Panikattacken Grundwerte der
Demokratie sowie bestehende Gesetze ins Wanken bringt. Man kann es
sich dieser Tage jedenfalls nicht oft genug vorsagen: Deutschland ist
eigentlich ein Rechtsstaat. Und Cornelius Gurlitt ist Erbe einer
Privatsammlung - vor allem "entarteter Kunst", die von den Nazis in
deutschen Museen beschlagnahmt worden war. Vater Hildebrand Gurlitt
griff als einer der vier Kunsthändler, die offiziell mit dem Verkauf
beauftragt worden waren, selbst fleißig zu. Außer ihm taten dies
übrigens führende Museen weltweit, die solcherart ihre Sammlungen der
klassischen Moderne begründeten und ausbauten, nicht zuletzt das New
Yorker Museum of Modern Art. Restitution wäre eventuell auch dort ein
nötiges und lohnendes Forschungsfeld.

Jetzt wurde in Deutschland, endlich, eine Taskforce eingerichtet,
auch um den Verdacht zu entkräften, der Staat wolle sich die
beschlagnahmte Sammlung nach Gurlitts Tod unter den Nagel reißen.
Politiker jeder Coleur informieren und empören sich - ebenso
zizerlweise, wie Gurlitts Sammlung öffentlich gemacht wird, um zu
klären, ob Werke darunter sind, die Juden weit unter Marktwert
abgepresst worden waren. Dies ist juristisch zumindest umstritten.
Restitutionsexperten, die unverdächtig sind, Problemfälle unter den
Tisch kehren zu wollen, betonen: Nach gültiger Rechtslage können
Private Raubkunst haben, so viel sie wollen. Es hänge von Gurlitts
gutem Willen ab, ob allfällige Ansprüche befriedigt werden.
Zumindest, als er den Verkaufserlös eines Bildes (Max Beckmanns
Löwenbändiger) mit den Erben des ursprünglichen Besitzers teilte,
hat er ihn bewiesen.

Das hilflose, auf Zuruf reagierende und keineswegs
gesetzeskonforme Vorgehen deutscher Behörden zeigt, wie fragil der
Boden ist, auf dem wir uns fast siebzig Jahre nach Kriegsende
bewegen. Raubkunst gibt es nicht nur in Museen, sondern in großen
Privatsammlungen, zu denen man sich Zutritt verschaffen müsste. Wie?
Und was ist mit anderen enteigneten Gütern außer Kunst?
Wohldurchdachte Gesetzesänderung tut not. Abgesehen davon, dass
Deutschland kein mit Österreich vergleichbares Restitutionsgesetz
hat, das Museen zur Rückgabe zwingt: Eine rasch zurechtgezimmerte Lex
Gurlitt würde nur Ungerechtigkeit mit Ungerechtigkeit bekämpfen.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom

*** OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER
INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT ***


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