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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zur Nationalratswahl in Österreich: "Vor dem Gewitter" von Norbert Mappes-Niediek

Geschrieben am 29-09-2013

Regensburg (ots) - Als vor einer Woche das Wahlergebnis in
Deutschland bekanntwurde, glaubten die wahlkämpfenden Großparteien in
Österreich beide, Aufwind zu spüren. Die Deutschen hätten "die
Schuldenpolitik abgewählt", interpretierte der Christdemokrat Michael
Spindelegger das Resultat im Nachbarland. Sein Gegenspieler, der
sozialdemokratische Kanzler Werner Faymann, meinte dagegen, die
Deutschen hätten sich für Kontinuität entschieden. Faymann hatte
Recht, mehr jedenfalls als sein Herausforderer. Hier wie dort ging es
nicht wirklich um Mindestlohn und Millionärssteuer oder darum, ob das
Thermometer der sozialen Wärme nun 16 oder 17 Grad zeigt. In beiden
Ländern fürchtet man sich viel mehr vor der großen Gewitterwand, die
da in Europa aufzieht, und vor dem nachfolgenden Temperatursturz.
"Mit sicherer Hand durch stürmische Zeiten": Der zentrale Wahlslogan
der SPÖ traf den Nerv. Aus den 40 von 68 Nachkriegsjahren, die
Österreich schon von einer großen Koalition regiert wird, werden nach
dem gestrigen Wahlkampf wohl 45 werden und aus den 38 Jahren
sozialdemokratischer Kanzlerschaft 43. Das Wahlergebnis vom Sonntag
zeigt aber auch: Schon jetzt leidet das Land an Großkoalitionitis im
fortgeschrittenen Stadium. Die wichtigsten Symptome der Krankheit
sind Gleichgültigkeit, Stillstand und dauernde Versteifung. SPÖ und
ÖVP mussten gegen einander wahlkämpfen, um nachher miteinander
koalieren zu können. Beide Parteien haben das Kunststück hinter sich
gebracht, ohne einander allzu sehr zu beschädigen. Der Betrogene
dabei ist aber der Wähler. Ausgerechnet die Themen nämlich, über die
beide Regierungsparteien uneins sind und mit denen sie um Stimmen
werben, bleiben in der nächsten Regierung zuverlässig unerledigt -
zum Beispiel die große Schulreform, wie die SPÖ sie will. Weil alle
Parteien das wissen, können alle ohne Furcht vor Konsequenzen mit
ihren Lieblingsthemen herumspielen. Eine "Entfesselung der
Wirtschaft" versprach Herausforderer Spindelegger von der ÖVP im
Wahlkampf, wo er sich doch darauf verlassen konnte, dass die
mittelständischen Funktionäre seiner eigenen Partei auch weiterhin
auf allen Ebenen still und effizient für Subventionen und gegen neue
Konkurrenz kämpfen werden. Die Sozialdemokraten dagegen warben mit
viel roter Farbe für vermögensbezogene Steuern, die sie selbst mit
abgeschafft hatten. In einer großen Koalition muss man sich für
solche Widersprüche nicht rechtfertigen wie die SPD für die
Hartz-Reformen. Es ist alles irgendwie so gekommen, und im Zweifel
war jeweils der andere schuld. Große Koalitionen stärken die
Ex-treme, heißt es. So war es auch in Österreich in einem ersten
Stadium der Krankheit, als die rechte FPÖ mit ihrem Jörg Haider von
Wahl zu Wahl immer rechter und immer stärker wurde. Aber als die
große Koalition in Österreich chronisch wurde, ließ die Partei jede
Hoffnung auf Verwirklichung ihres Programms fahren und verlegte sich
ganz darauf, die Wähler in ihren Affekten zu bestätigen. Eine
Heilungschance ist nicht in Sicht. Die Parteien der großen Koalition
haben gestern zusammen gerade noch 50 Prozent der Stimmen bekommen;
vor fünf Jahren waren es noch 55 Prozent. Sollten sie nach weiteren
fünf Jahren unter 50 Prozent fallen, so wäre das noch lange nicht das
Ende der großen Koalition. Im Gegenteil: Es wäre der Beginn der
riesengroßen. Schon in den letzten Jahren haben sich die Grünen in
die Rolle des dritten Partners eingeübt. Vor dem Gewitter rücken alle
gern zusammen. Am Ende streiten auch in Europa nicht mehr Parteien,
sondern nur noch Nationen miteinander. Beruhigen kann das nicht.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


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