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Nikolaus Schneider: "Respekt-Toleranz üben"/ Rede des EKD-Ratsvorsitzenden beim Johannisempfang 2013 in Berlin

Geschrieben am 27-06-2013

Hannover (ots) -

Sperrfrist: 27.06.2013 18:00
Bitte beachten Sie, dass diese Meldung erst nach Ablauf der
Sperrfrist zur Veröffentlichung freigegeben ist.

Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland
(EKD), Nikolaus Schneider, hat in seiner Rede beim Johannisempfang
der EKD am heutigen Donnerstag das Thema "Christliche Verantwortung
für ein Europa der Toleranz" entfaltet.

Anlässlich des Themenjahres "Reformation und Toleranz" in der
Lutherdekade skizzierte der Ratsvorsitzende den historischen Weg von
einer "Duldungs-Toleranz" im Blick auf religiöse Minderheiten hin zu
einer "Respekt-Toleranz". Die "Respekt-Toleranz" ziele auf die
wechselseitige Achtung unterschiedlicher Lebens- und
Glaubensüberzeugungen, kämpfe nicht gegen Pluralisierung, sondern
stelle sich vielmehr der Aufgabe, in "versöhnter Verschiedenheit" in
und mit Pluralität zu leben, sagte Schneider.

Die Gefahr des Fundamentalismus hingegen nehme zu, so Schneider,
"je weniger sich Menschen angstfrei in ihrem Glauben oder anderen
Überzeugungen aufgehoben und beheimatet wissen." In diesem
Zusammenhang bemerkte der Ratsvorsitzende, dass auch die Forderung
nach einem "staatlich verordneten Laizismus und nach Ausgrenzung der
Religionen aus dem öffentlichen Raum" einer Respekt-Toleranz in
weltanschaulich pluralen Gesellschaften nicht förderlich sei.
Schneider: ";Leben mit dem bleibend Anderen'" können wir gerade nicht
lernen, wenn wir die Suche nach Glaubenswahrheit und
Glaubensgewissheit in die Hinterhöfe und in private Zirkel
verbannen."

Respekt-Toleranz zu lernen und zu üben, so der Ratsvorsitzende,
bleibe deshalb für alle weltanschaulichen und religiösen Gruppen ein
Dauerthema - auch für evangelische Theologie und Kirche. Hier gelte,
so Schneider: "Auch die beste Exegese vermag nicht eindeutig zu
sagen, wo Gottes ewiges Wort und wo zeitlich bedingtes Menschenwort
uns anspricht. In diesem Bewusstsein können wir in respektvoller
Toleranz auch mit verschiedenen ethischen Optionen in Christus
verbunden bleiben."

Im Zusammenhang der Rede nahm der Ratsvorsitzende auch zur
Diskussion um die am 19. Juni veröffentlichte EKD-Orientierungshilfe
"Zwischen Autonomie und Angewiesenheit -Familie als verlässliche
Gemeinschaft stärken" Stellung. Schneider: "Die Orientierungshilfe
legt den Akzent auf die "biblischen Werte Vertrauen, Verlässlichkeit,
Verbindlichkeit, Fürsorge und Gemeinschaftsgerechtigkeit. Die
rechtlichen Formen familiären Zusammenlebens haben diese Werte zu
schützen und zu fördern. Dabei bleibt die traditionelle lebenslange
Ehe und Familie das Leitbild unserer Kirche, aber nicht mehr die
einzige Form, die auf den Segen Gottes hoffen kann. Wir haben daher
bewusst eine Ausweitung und einen Wechsel der Perspektive
vorgenommen, aber keinen Kurswechsel. Wir freuen uns über die rege
Diskussion, die die Veröffentlichung dieses Textes in allen Bereichen
der Öffentlichkeit ausgelöst hat, denn das Thema ist ein wichtiges
und sollte breit diskutiert werden."

Besorgt äußerte sich Schneider im Blick auf die Situation der
Flüchtlinge in Europa. Ihre Lage sei "verheerend" und entspreche "nur
wenig den rechtsstaatlichen und menschenfreundlichen Prinzipien und
Standards, auf die wir in Europa Wert legen und mit Recht stolz
sind", so der Ratsvorsitzende und weiter: "Es widerspricht unseres
Erachtens einer Respekt-Toleranz, dass in Deutschland Flüchtlinge
davon abgehalten werden, Sprachkurse zu besuchen, eine
Berufsausbildung zu machen oder eine Arbeit anzunehmen. Es beschwert
uns, dass viele der gut integrierten Flüchtlinge nur ,geduldet'
bleiben und kein Aufenthaltsrecht erhalten. ,Kettenduldungen' sind
kaum zu überschätzende Belastungen für die betroffenen Menschen!"

Berlin/Hannover, 27. Juni 2013

Pressestelle der EKD

Reinhard Mawick

Achtung! Es gilt das gesprochene Wort

Dr. h.c. Nikolaus Schneider

Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland
(EKD)

Rede auf dem Johannisempfang

am Donnerstag, 27. Juni 2013 in Berlin

Christliche Verantwortung für ein Europa der Toleranz - Ermutigung
ein Eigenes zu suchen und das Offene zu schauen

Wenn ich ein Europa der Toleranz mit einem Schiff vergleiche,
denke ich nicht an ein Kreuzfahrt- oder "Traumschiff". Dieses Schiff
ist eher wie einst das Schiff des Odysseus. Es musste auf einem Kurs
voller Untiefen und gegenläufiger Strömungen steuern. Der Sage nach
wurde das Schiff des Odysseus bedroht von den Menschen-fressenden und
Schiffe-vernichtenden Meeresungeheuern Skylla und Charybdis. Auch
Europa muss auf einem gefährdeten Weg gesteuert werden. Mehr als zwei
"Meeresungeheuer" bedrohen das Schiff und fordern die Steuer-, Ruder-
und Segelkunst der Mannschaften an Bord des Schiffes "Europa der
Toleranz" heraus.

Viele von Ihnen wissen sich eingebunden in die Verantwortung für
den Kurs, die Fahrtüchtigkeit und die Fahrt des Schiffes Europa. Und
viele von Ihnen könnten Geschichten erzählen von Bedrohungen und
Gefahren, in ihrem Bemühen um ein Europa der Toleranz zerrieben zu
werden.

Die Perspektive meiner Rede ist die christliche Verantwortung für
ein Europa der Toleranz. In dieser Perspektive zeigt sich Skylla mit
dem Gesicht einer verordneten Gleichmacherei. Skylla verunglimpft und
frisst das je Eigene. Charybdis dagegen zeigt sich mit dem Gesicht
der Verabsolutierung des je Eigenen. Sie verteufelt, verschlingt und
zerstört alles Offene.

Ohne Eigenes aber können Menschen keine tolerante Lebenshaltung
entwickeln. Und in Furcht und Kampf gegenüber allem Offenen kann
Toleranz nicht gestaltet und gelebt werden. Ein Zitat Hölderlins soll
heute helfen bei der Bestimmung des Kurses, um einen Weg zwischen
Skylla und Charybdis zu finden.

"So komm! Dass wir das Offene schauen,

dass ein Eigenes wir suchen, so weit es auch ist", heißt es bei
Hölderlin.

In Anlehnung an dieses Zitat konkretisiere ich im Folgenden das
Thema "Christliche Verantwortung für ein Europa der Toleranz" unter
den beiden Aspekten "Ermutigung ein Eigenes zu suchen" und
"Ermutigung das Offene zu schauen".

Zum Ersten: Ermutigung ein Eigenes zu suchen.

In Europa leben wir heute mit Menschen aus Polen, Italien und
Frankreich, mit Orthodoxen, Muslimen, Buddhistinnen und Atheisten Tür
an Tür. Vielleicht lebten noch nie so viele Menschen so vieler
Ethnien und so unterschiedlicher kulturell-religiöser Prägung in
Europa auf so engem Raum zusammen.

Die Erkenntnis, dass unsere Lebensräume in Europa sich
pluralisiert haben, ist zu einer Binsenweisheit geworden. Ebenso die
Erkenntnis, dass diese Pluralität nach Toleranz verlangt, wenn
Menschen in einem gerechten Frieden zusammenleben wollen. Doch es
reicht nicht aus, Toleranz abstrakt zu beschwören, zu bekennen und zu
fordern. Wir brauchen eine unserem heutigen Kontext angemessene
Begriffsklärung von Toleranz. Und wir brauchen einen
gesellschaftlichen Diskurs zu den Fragen nach ihren Zielen, Grenzen
und konkreten Implikationen. Mit dem Themenjahr "Reformation und
Toleranz" stellt sich die EKD diesen Fragen. Und ich nehme mit Freude
wahr, wie in der Perspektive christlicher Verantwortung die
Gliedkirchen und Partnerkirchen der EKD sich an diesem Diskurs
beteiligen.

Der Toleranzbegriff hat sich historisch von einer
Duldungs-Toleranz im Blick auf religiöse Minderheiten hin zu einer
Respekt-Toleranz entwickelt. Diese zielt auf die wechselseitige
Achtung unterschiedlicher Lebens- und Glaubensüberzeugungen. Eine
Respekt-Toleranz kämpft nicht gegen Pluralisierung. Sie stellt sich
vielmehr der Aufgabe, in versöhnter Verschiedenheit in und mit dieser
Pluralität zu leben.

So formulierte die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland
schon im Jahr 2005 zu dem Schwerpunktthema "Tolerant aus Glauben" als
erste von zehn Thesen: "Als evangelische Christinnen und Christen
nehmen wir den Pluralismus in unserer Gesellschaft als Chance und
Herausforderung an. Dabei wollen wir unseren Glauben offen bekennen,
leben und für ihn werben. Glaubensgewissheit und Toleranz gehören für
uns zusammen."

Glaubensgewissheit und Toleranz gehören zusammen - diese
Behauptung steht quer zu dem verbreiteten Urteil, schon die Suche
nach Glaubenswahrheit und erst recht jede Glaubensgewissheit seien
ein Nährboden von Intoleranz.

Ich halte dagegen: Die Gefahr, bei der Suche und Wahrung des
Eigenen von Skylla verschlungen zu werden, wird umso größer, je
weniger sich Menschen angstfrei in ihrem Glauben oder anderen
Überzeugungen aufgehoben und beheimatet wissen. Fundamentalismen
nehmen zu, wo Unsicherheit und Ängste regieren. Übrigens: auch
laizistisch-szientistische Weltbilder können fundamentalistisch
benutzt werden.

Die Forderung nach einem staatlich verordneten Laizismus und nach
Ausgrenzung der Religionen aus dem öffentlichen Raum fördert gerade
nicht eine Respekt-Toleranz in weltanschaulich pluralen
Gesellschaften. Leben mit dem bleibend Anderen können wir gerade
nicht lernen, wenn wir die Suche nach Glaubenswahrheit und
Glaubensgewissheit in die Hinterhöfe und in private Zirkel verbannen.

Der Kurs eines Europas der Toleranz wird allerdings auch
gefährdet, wenn Religionen und Weltanschauungen ihr Eigenes von jeder
kritischen Reflexion und In-Frage-Stellung abschotten. Religiöse
Überzeugungen und Glaubensgewissheiten, die sich nicht kritischer
Rationalität aussetzen und Aufklärung zu ihrem Feind erklären, sind
ein Nährboden von Intoleranz. Hier lauert Charybdis, um das Schiff
der Toleranz zu verschlingen. Respekt-Toleranz zu lernen und zu üben
bleibt deshalb für alle weltanschaulichen und religiösen Gruppen ein
Dauerthema - auch für unsere evangelische Theologie und unsere
evangelischen Kirchen. Zu deren "Eigenem" gehört die Einsicht, dass
uns in der Bibel Gottes- und Menschenwort untrennbar verbunden
begegnen. Auch die beste Exegese vermag nicht eindeutig zu sagen, wo
Gottes ewiges Wort und wo zeitlich bedingtes Menschenwort uns
anspricht. In diesem Bewusstsein können wir in respektvoller Toleranz
auch mit verschiedenen ethischen Optionen in Christus verbunden
bleiben.

Das zeitlos "Eigene", das wir als Christinnen und Christen immer
wieder neu suchen, wahren und öffentlich einbringen wollen, liegt in
der Gewissheit:

Jesus Christus ist das lebendige Wort Gottes, das den Himmel
öffnet, Himmel und Erde miteinander verbindet, Menschen Anteil gibt
an Gottes Wahrheit, eine Hoffnung über den Tod hinaus schenkt und die
Lebensangst nimmt.

Dieses Eigene will das ganze Leben der Glaubenden durchdringen,
also auch ihr öffentliches Reden, Entscheiden und Handeln. Dem
entspricht, dass das Grundgesetz eine Freiheit zur Religion im
öffentlichen Raum garantiert.

Zugleich aber stattet dieses Wort Gottes die Glaubenden mit
selbstkritischer Demut aus. "Jetzt erkenne ich stückweise", sagt
Paulus (1. Korinther 13, 12). Das bedeutet: Zum menschlichen Maß
gehört niemals eine absolute und vollkommene Wahrheitserkenntnis.
Unsere je eigene Wahrheitserkenntnis und Glaubensgewissheit werden
immer partikular und kontextuell sein. Ob und wo Gottes Geist auch
den uns fremden und oft so befremdlich Anderen Gottes Wahrheit
zu-Teil-werden lässt, steht nicht in unserer Macht - Gott sei Dank!

In respektvoller Toleranz das Eigene zu suchen und zu wahren,
bringt also mit sich, die eigenen Glaubensgewissheiten auch in
öffentlichen Diskussionen mit Verstand und Sachverstand zur Sprache
zu bringen, selbstkritisch zu reflektieren und in Frage stellen zu
lassen. Auf der Basis einer Respekt-Toleranz widerspricht dem
keineswegs, wenn auch wir das je Eigene der Anderen, also ihre
Glaubenswahrheiten und Lebensgewissheiten, respektvoll prüfen und
kritisch befragen.

Dabei werden wir auch an die Grenzen der Toleranz stoßen. In dem
Roman "Der Zauberberg" von Thomas Mann belehrt der atheistische
Freimaurer Settembrini den Ingenieur Hans Castorp: "Prägen Sie sich
immerhin ein, dass Toleranz zum Verbrechen wird, wenn sie dem Bösen
gilt." (Thomas Mann, Der Zauberberg, Frankfurt 1974, S. 713)

Auch wenn ich der Voraussetzung Settembrinis nicht zustimme - er
sieht in metaphysischen Überzeugungen den Wurzelgrund des Bösen und
will Gott aus dem Denken der Menschen streichen -, das Böse als
Grenze der Toleranz haben wir immer wieder neu zu bedenken und zu
benennen. Die Aufdeckung der Mordserie der
neo-nationalsozialistischen Zwickauer Zelle und der jetzt laufende
Prozess in München machen deutlich: Toleranz muss da ihre Grenze
haben, wo die Würde und das Leben anderer Menschen auf dem Spiel
stehen. Toleranz gegen menschenfeindliche Ideologien, gegen
Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit darf es nicht
geben. Toleranz wird zum Verbrechen, wenn wir unbeteiligt zusehen,
wie andere Menschen verunglimpft, angegriffen, verletzt und ermordet
werden.

Christliche Verantwortung für ein Europa der Toleranz ermutigt
dazu, "ein Eigenes" zu suchen und zu wahren, solange es nicht auf
Kosten der Anderen und nicht mit dem Ziel der Eliminierung des
Anderen einhergeht. In dieser Überzeugung hat der Rat der EKD im
Oktober 2013 ein Wort zur Stärkung des Europäischen Zusammenhalts
veröffentlicht. Darin heißt es:

"Die Vision einer versöhnten Verschiedenheit kann nicht nur den
Kirchen helfen, Zusammenhalt in Unterschieden zu gestalten. Aus der
ökumenischen Erfahrung erwächst auch ein gemeinsamer Auftrag in der
Welt. Wir setzen uns für eine politische Ordnung ein, in der Vielfalt
und Respekt vor unterschiedlichen Identitäten als Stärke erlebt
werden, eine Ordnung, in der Solidarität als bereichernder Prozess
der Teilhabe erfahren und nicht als Einbahnstraße empfunden wird."

Die Bindung an Gottes Wort schenkt uns Menschen die Angstfreiheit,
"Eigenes" zu suchen und zu wahren in respektvoller Toleranz gegenüber
unseren Mitmenschen. Und diese Freiheit lehrt uns, in der Gewissheit
des Eigenen mit Pluralität zu leben. Unsere Toleranz muss nicht an
der alles Eigene verunglimpfenden Skylla oder an der alles Offene
verschlingenden Charybdis scheitern. Wir können mit Fremdem und mit
Fremden in versöhnter Verschiedenheit leben.

Zum Zweiten: Ermutigung das Offene zu schauen.

In Deutschland und Europa ist mittlerweile eine ganze Generation
herangewachsen, für die Grenzkontrollen und Zollstationen, der
Umtausch von Währungen und die Benutzung eines Reisepasses Dinge
sind, die zu einer Fernreise in exotische oder weit entfernte Länder
gehören. Diese "Generation Schengen" (so z.B. Der Stern, 29. Mai
2013) nimmt das Überschreiten von Staatengrenzen in Europa zuerst auf
dem Handy wahr - wenn der Auslandstarif mit der sms angekündigt wird:
"Willkommen in...".

Wir erfreuen uns an offenen Grenzen, offenen Märkten, offenen
Bildungssystemen. Es ist eine Dynamik entstanden, die kaum jemand
ernsthaft umkehren will. Diese Offenheit Europas gilt allerdings
nicht an seinen Außengrenzen. Und innerhalb Europas auch nicht für
die Flüchtlinge, die es nach Europa geschafft haben. Die Lage für
viele Flüchtlinge ist verheerend und entspricht nur wenig den
rechtsstaatlichen und menschenfreundlichen Prinzipien und Standards,
auf die wir in Europa Wert legen und mit Recht stolz sind.

Wie kann und muss ein "Europa der Toleranz" seine Verantwortung
für Flüchtlinge konkret gestalten? Viele Gemeinden und Landeskirchen
in der EKD mahnen an, dass Menschen, die in der Hoffnung auf ein
menschenwürdiges Leben ihre Heimat verlassen und nach Europa kommen,
nicht zu Objekten restriktiver Politik werden dürfen. Es widerspricht
unseres Erachtens einer Respekt-Toleranz, dass in Deutschland
Flüchtlinge davon abgehalten werden, Sprachkurse zu besuchen, eine
Berufsausbildung zu machen oder eine Arbeit anzunehmen. Es beschwert
uns, dass viele der gut integrierten Flüchtlinge nur "geduldet"
bleiben und kein Aufenthaltsrecht erhalten. "Kettenduldungen" sind
kaum zu überschätzende Belastungen für die betroffenen Menschen!

Wir verkennen nicht, dass der Bundesinnenminister, die
EU-Innenministerkonferenz und auch die Innenminister unserer
Bundesländer angesichts der Flüchtlingsfragen vor schwierige und nur
begrenzt lösbare Aufgaben gestellt werden. Die Gefahren von
Missbrauch der Freizügigkeitsrechte und von Sozialbetrug sind nicht
zu leugnen. Und wenn das je Eigene mit Integrationsunwilligkeit
verbunden wird, kann das Einheimische an die Grenzen ihrer Toleranz
führen. Für Schutzsuchende müssen die Grenzen aber offen stehen. Die
vielzitierten Werte, die unseren Staatenbund zusammenhalten, müssen
sich auch in unseren Entscheidungen zur Flüchtlingspolitik
niederschlagen.

Ein Beispiel für diese Werte zeigt sich im Engagement der
Bundesregierung in Syrien: Nicht nur dass Deutschland die
Nachbarländer Syriens großzügig finanziell unterstützt - die
Bundesregierung hat sich auch entschieden, 5000 Flüchtlingen in
Deutschland Aufnahme zu gewähren. Dies tragen alle Fraktionen im
Bundestag. Einmütig hat sich der Bundestag dazu entschieden, einen
interfraktionellen Antrag auf den Weg zu bringen, der sogar die
Bundesländer ermutigt, über das Kontingent hinaus Familienangehörige
nach Deutschland zu holen. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken!

Eigenes zu wahren und Offenheit nicht zu fürchten stehen in einer
nicht auflösbaren Spannung zueinander, die manche konkrete
Zerreißprobe zu bestehen hat. Eine grenzenlose Offenheit kann Eigenes
verschlingen. Die Öffnung aller Grenzen und eine unbegrenzte
Zuwanderung in die europäischen Staaten würden die einheimische
Bevölkerung und die Kommunen überfordern, wohl auch Heimat zerstören
und Beheimatung verhindern. Eine engherzige Angst vor Offenheit aber
wird unser Eigenes pervertieren. Der Ausbau einer "Festung Europa"
und unmenschlicher Umgang mit Flüchtlingen in Europa machen unser
"Europa der Toleranz" zur Illusion.

Schlussbemerkung

Als Kirchen nehmen wir unsere Verantwortung für ein Europa der
Toleranz wahr durch unsere Arbeit vor Ort in den Gliedkirchen und
unsere Vertretungen in Berlin und Brüssel. Dabei sehen wir die
Aufgabe der Kirchen nicht allein darin, konkreten Menschen konkrete
diakonische und humanitäre Hilfe zu leisten. Und deshalb verstehen
wir unsere öffentlichen Verlautbarungen etwa zur Religionsfreiheit
und zur Flüchtlingspolitik, zur Sozial-, Familien- und
Wirtschaftspolitik nicht als übergriffige politische Anmaßungen,
sondern als theologisch begründete Diskursbeiträge, die aus Gottes
Wort und Weisung orientierende Kraft entfalten.

Das gilt auch für die Orientierungshilfe "Familie als verlässliche
Gemeinschaft stärken", die die EKD kürzlich vorgestellt hat. Die
Schrift legt den Akzent auf die biblischen Werte Vertrauen,
Verlässlichkeit, Verbindlichkeit, Fürsorge und
Gemeinschaftsgerechtigkeit. Die rechtlichen Formen familiären
Zusammenlebens haben diese Werte zu schützen und zu fördern. Dabei
bleibt die traditionelle lebenslange Ehe und Familie das Leitbild
unserer Kirche, aber nicht mehr die einzige Form, die auf den Segen
Gottes hoffen kann. Wir haben daher bewusst eine Ausweitung und einen
Wechsel der Perspektive vorgenommen, aber keinen Kurswechsel. Wir
freuen uns über die rege Diskussion, die die Veröffentlichung dieses
Textes in allen Bereichen der Öffentlichkeit ausgelöst hat, denn das
Thema ist ein wichtiges und sollte breit diskutiert werden. Übrigens:
heute ist der Jahrestag der Eheschließung Martin Luthers mit
Katharina von Bora - ein hoch diskutiertes Ereignis zu seiner Zeit.
Dem Reformator verdanken wir die Einsicht, dass die Ehe "ein weltlich
Ding" und kein "Sakrament" ist - eine Einsicht, die Freiheit und
Toleranz stärkt.

In christlicher Verantwortung beteiligen wir uns am öffentlichen
Diskurs über die Frage, wie ein Europa der Toleranz politisch
gestaltet werden kann. Gemeinsam mit der Deutschen Bischofskonferenz,
der Konferenz Europäischer Kirchen und dem Kommissariat der
Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft werden wir im
kommenden Frühjahr in Brüssel in einer ökumenischen Kirchenkonferenz
ein Zeichen ökumenischer Verbundenheit zur Europa setzen.

"Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe
treibt die Furcht aus." - so heißt es in der Bibel im 1.
Johannesbrief (1. Joh. 4,18). Diese Gewissheit richtet unseren
Kompass aus, um ein Europa der Toleranz auf seinem Weg zwischen
Skylla und Charybdis erfolgreich zu steuern.



Pressekontakt:
Evangelische Kirche in Deutschland
Reinhard Mawick
Herrenhäuser Strasse 12
D-30419 Hannover
Telefon: 0511 - 2796 - 269
E-Mail: reinhard.mawick@ekd.de


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