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Landeszeitung Lüneburg: Europa braucht Klima-Allianz mit Asien / Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker: China könnte der neue Klima-Vorreiter werden - US-Politiker sind sich selbst genug

Geschrieben am 06-12-2012

Lüneburg (ots) - Während der Klimawandel die Nordostpassage im
Polarmeer freigeschmolzen hat, scheitert der UN-Klimagipfel in Doha
daran, dass Thermostat im Treibhaus Erde etwas runterzudrehen. Für
Umweltwissenschaftler Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker höchste Zeit
für neue Wege: "Europa sollte eine Allianz mit Asien zur Dämpfung der
Folgen des Klimawandels eingehen."

Umweltminister Altmaier rüffelte fehlenden Willen bei den Staaten
auf der UN-Klimakonferenz. Wie sieht Ihre Halbzeitbilanz für Dohar
aus?

Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker: Ziemlich negativ. Zwar
macht Europa insgesamt noch eine ganz gute Figur. Wir wollen eine
Fortsetzung der Verpflichtungen des Kyoto-Protokolls mit einem noch
ehrgeizigeren Programm. Die US-Amerikaner wollen keine
Fortschreibung, feiern vielmehr, dass sie mithilfe von
Erdgas-Fracking und einem Überangebot von Biotreibstoffen ihre
formelle CO2-Bilanz ein bisschen gesenkt haben - aber beides ist sehr
umweltschädlich. Auf die Amerikaner kann man sich also nicht
verlassen. Die Russen haben einen sehr einleuchtenden Vorschlag
gemacht, nämlich, dass man gegenüber Kyoto den Anhang, der die
Emissionsminderung nur von den Staaten verlangt, die 1990 als
Industriestaaten galten. Ein Punkt, der auch Washington aufstößt. Die
Europäer sind eher geneigt, die alte Lastenverteilung noch zu
akzeptieren, aber die Entwicklungsländer lehnen den russischen
Vorschlag entrüstet ab.

Dank der Krise hat Europa sein für 2020 anvisiertes Ziel, 20
Prozent weniger CO2 auszustoßen, bereits 2011 erreicht. Wäre es an
der Zeit, im Alleingang die Messlatte höher zu legen?

Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker: Ja, weil wir uns das leisten
können. Wir müssen es aber langfristig anlegen, also nicht etwa
Kapital vernichten oder soziale Brüche provozieren. Ziel muss sein,
nicht länger in Anlagen oder Infrastruktur zu investieren, die das
Klimaproblem schwerer lösbar machen. Zudem sollte Europa unabhängig
von dem rechtlichen Rahmen der Klimaschutzkonvention eine Allianz mit
Asien anstreben. Eine Allianz, die die Entwicklung klimaverträglicher
Technologien ebenso vorantreibt wie eine sanfte, sozial verträgliche
Verteuerung von Energie und CO2-Erzeugung, die langfristige
Strategien anstelle der Kurzfristigkeit der Vierteljahresabschlüsse
in den USA setzt, und die einen starken Staat statt eines
übermächtigen Marktes propagiert. Gedanken, die in China, Japan oder
Indien selbstverständlich sind, in den USA aber schroff abgelehnt
würden.

In Ihrem neuen Buch beleuchten Sie auch die Entwicklung in China.
Wächst hier die neue Öko-Vormacht heran?

Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker: In gewissem Sinne ja. Seit fünf
Jahren sind Europa und China die einzigen innerhalb der
Staatengemeinschaft, die verbindliche Richtwerte festgelegt haben. Im
Falle Europas für die CO2-Verminderung, im Falle Chinas für die
Energieeffizienzverbesserung und - seit dem zwölften Fünf-Jahres-Plan
- auch für die Kohlendioxidverminderung. Leider sind Japaner und
Kanadier aus dem Kyoto-Protokoll ausgestiegen, während die
US-Amerikaner noch nie dazu gehörten. Und die Entwicklungsländer
haben sich auch noch nicht in einem aktiven Sinne am Kyoto-Prozess
beteiligt.

Zwar stehen die USA bisher Kyoto fern. Aus Ihrer Erfahrung der
drei Jahre, als Sie die kalifornische Umwelthochschule leiteten:
Mutiert Barack Obama in seiner letzten Amtszeit noch zum
Öko-Präsidenten?

Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker: Er würde gerne, aber die
amerikanische Öffentlichkeit geht da nicht mit, abgesehen von der
Bevölkerung an den Küsten. Der amerikanische Kongress ist das
langsamste Parlament der Welt und hat seit dem Amtsantritt von Ronald
Reagan 1981 keine einzige relevante internationale Konvention mehr
ratifiziert. Die US-Politiker sind sich selbst genug und empfinden
jede internationale Verpflichtung als freche Einmischung in die
inneren Angelegenheiten der USA. Viel machen kann der Präsident da
nicht. Es wäre schon heroisch genug, sollte er versuchen, die
Klimaschutzanstrengungen derjenigen Staaten, die voranschreiten - wie
etwa Kalifornien - auf die Bundesebene zu heben. Um der
Erfolgschancen willen darf er sich aber nicht leisten, dies als
internationalen Erfolg zu verkaufen.

Noch mal zurück zu China: Die Landbewohner Chinas werden nicht
länger Rad fahren wollen, damit in den reichen Küstenstädten die
Mercedesse rollen können. Ist der soziale Gegensatz ein Sprengsatz
für die ökologische Orientierung?

Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker: Generell ja, aber Ihr Beispiel
trifft es nicht so ganz. Es stimmt, dass die Gouverneure der
westlichen, chinesischen Provinzen bei ehrgeizigen ökologischen
Zielsetzungen eher bremsen. Aber zumindest auf der Ebene des
Volkskongresses und der zentralen Regierung haben wir sehr viele
ökologische Vorschriften. Ein Drittel des zwölften Fünf-Jahres-Plans,
höre ich, ist der Umwelt gewidmet. Dass Ihr Beispiel nicht zieht,
liegt an Schanghai, Peking und Guangdong, die Vorschriften aus
Singapur kopiert haben, wonach man als Einwohner der Stadt kein Auto
kaufen darf, wenn man nicht zuvor eine entsprechende Lizenz erstanden
hat. Das heißt, China setzt in den reichen Städten eine Begrenzung
des Autoaufkommens durch. Vergleichbares gibt es im Westen nicht. Die
Machthaber haben dies zwar nicht verfügt, um gegenüber den Armen ein
Zeichen zu geben, sondern, um den innerstädtischen Verkehr flüssig zu
halten. Dennoch nützt es der Umwelt.

Mit jeder gescheiterten Klimakonferenz bewegt sich die Menschheit
einen Schritt weiter auf den Abgrund zu, aber das scheint keine Panik
auszulösen. Fehlt dem Menschen ein Sinn, der auch bei langsamen
Veränderungen Alarm schlägt?

Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker: Ja, das ist ein Teil des
Problems. Wir nehmen Verschlechterungen wahr, die sich innerhalb von
zwei Jahren abspielen. Solche, die über 50 Jahre ablaufen, sind für
viele Menschen schon unvorstellbar. Deswegen ist ein richtiger Impuls
für kühne Klimapolitik erst dann zu erwarten, wenn wieder
Katastrophen eintreten. So hat in den USA erst der Wirbelsturm
"Katrina" im August 2005 den Aufstieg von Al Gore zur US-Umweltikone
möglich gemacht. Nur ist dieser Effekt mittlerweile verpufft. Das
Verdorren der Ernte im Sommer und der Sturm "Sandy" an der Ostküste
haben noch mal für ein Aufflackern des Umweltbewusstseins gesorgt,
aber dennoch ist mehr als die Hälfte der US-Bürger der Meinung, es
gäbe keinen Klimawandel. Schuld ist auch die Meinungskultur in den
USA, die dem Juristengrundsatz Audiatur et altera pars (lat. für
"Gehört werde auch der andere Teil"; d. Red.) eine sehr große
Bedeutung zumisst. Kommt in einer Zeitung ein Forscher mit dem
Ergebnis seiner Studie zu Wort, dass die Klimaerwärmung ein Problem
ist, sucht die Redaktion einen Forscher, der dies bestreitet. Ein
Senator aus Oklahoma oder Nebraska denkt dann, dass er frei wählen
kann - und das macht er dann aus politischen Nützlichkeitserwägungen.

Sie haben in Ihrem Buch "Faktor Fünf" ein Konzept für
umweltschonendes Wachstum vorgelegt. Aus jeder Kilowattstunde Strom,
aus jedem Fass Öl könnte das Fünffache herausgeholt werden. Wie das?

Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker: Zunächst muss man sich klar
machen, dass das wirklich geht. Würde ich hier auf der Straße Bürger
fragen: "Könnt Ihr Euch vorstellen, dass man fünf mal so viel
Wohlstand aus einer Kilowattstunde herausholen kann?", würde mir wohl
ein Vogel gezeigt werden. Wir brauchen also Aufklärung. Zum zweiten
muss die Geschäftswelt davon überzeugt werden, dass es in ihrer Hand
liegt, dieses Potenzial auch zu nutzen. Beim Siemens-Vorstand bin ich
beispielsweise in dieser Hinsicht schon echt optimistisch. Bei
Autokonzernen ist das Bewusstsein noch nicht so ausgeprägt. Drittens
- und dies ist das Wichtigste - sollte man Energie und Wasser jedes
Jahr um so viel verteuern, wie die Effizienz im selben Zeitraum
zugenommen hat. Würde dies politisch durchgesetzt, gäbe es ein
Wettrennen zwischen Konzernen und Infrastrukturplanern um die
größtmögliche Energieeffizienz. Ein Regime durch einen nach oben
gerichteten Preiskorridor bringt völlige Investitionssicherheit: In
Energieeffizienz zu investieren, bringt Geld. Und Geld bewegt den
Markt.

Ist die Krise der Feind einer genügsamkeitsorientierten Kultur,
weil reflexartig Wachstum gefordert wird?

Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker: Hier muss man unterscheiden:
Eine genügsamkeitsorientierte Kultur wird zwangsläufig gestärkt. Das
sieht man jetzt in Griechenland. Die Griechen werden verzweifelt
genügsam, ziehen wieder in die Dörfer, bestellen wieder ihre alten
Kleingärten, aus der Erkenntnis heraus, dass sie dies besser ernährt
als staatliche Hilfe. Gleichwohl haben Sie mit Ihrer Diagnose recht,
dass die Bereitschaft, eine andere Politik zu verfolgen als die des
maximierten Wachstums im Moment sehr gering ausgeprägt ist. Ich halte
dem entgegen: Die von mir vorgeschlagene sanfte Verteuerung von
Energie ist absolut nicht wachstumsschädlich, genaugenommen nützt sie
dem Wohlstand: Wir müssen dann weniger Geld nach Saudi-Arabien
überweisen.

Sie plädieren seit langem für Kühnheit in der Klimapolitik. In der
Realität aber blockieren die Länder eine Gesetz zur energetischen
Gebäudesanierung, weil sie Steuerausfällefürchten. Wünschen Sie sich
den Mut der Bankenretter auch für die Klimaretter?

Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker: Natürlich. Greenpeace hat es
mit dem Plakat, das sie an der Deutschen-Bank-Zentrale aufgehängt
hatten, gut getroffen. Dort war die Erde mit der Sprechblase zu
sehen: "Wenn ich eine Bank wäre, hättet ihr mich längst gerettet."

Nach jüngsten Studien verfehlt die Menschheit das Zwei-Grad-Ziel
deutlich. Braucht es Zwang, um eine für Menschen lebensfeindliche
Erde zu verhindern?

Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker: Ich bin vorläufig noch
optimistisch genug, dass man die von mir skizzierten Politikwege
rechtzeitig beschreitet, die den Wohlstand nicht behindern, sondern
vermehren. Damit würde man Klimaschutz nicht als Verzichtsstrategie
verfolgen, sondern als Gewinnerstrategie. Zwei Probleme stehen dem
entgegen: Mangelndes Vertrauen in die Wirksamkeit des
Faktor-Fünf-Konzeptes. Und der Einfluss mächtiger Gruppen, die
Interesse an einer klimafeindlichen Art des Wohlergehens haben.

Wäre ein bisschen Zwang nach dem Vorbild Schanghai nicht sinnvoll?

Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker: Wenn uns das Wasser bis zum
Hals steht, werden wir die Frage Zwang oder nicht anders beantworten
als in Zeiten eines komfortablen Lebens. Ob wir Zwang akzeptieren,
hängt davon ab, wie groß unsere Notlage ist. Das war in der
Weltgeschichte immer so. Warum sollte das beim Klima anders sein?

Das Interview führte Joachim Zießler



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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