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Synode verabschiedet Kundgebung zum Schwerpunktthema " 'Am Anfang war das Wort...' - Theologische Impulse auf dem Weg zum Reformationsjubiläum 2017"

Geschrieben am 07-11-2012

Hannover (ots) - Die 11. Synode der Evangelischen Kirche in
Deutschland (EKD) hat an diesem Mittwoch zum Ende der 5. Tagung in
Timmendorfer Strand die Kundgebung zum Schwerpunktthema "Am Anfang
war das Wort ..." - Theologische Impulse auf dem Weg zum
Reformationsjubiläum 2017" beschlossen. Die Kundgebung gliedert sich
in fünf Abschnitte.

Im ersten Abschnitt ("Todesangst und Lebenshoffnung") knüpft die
Kundgebung an die erste der 95 Thesen Martin Luthers an und hält
fest, dass die Reformation mit einem Wagnis begonnen habe. Mit dem
Wagnis, die gesamte Hoffnung auf Christus zu setzen und nicht länger
das Heil frommen, formelhaften Übungen anzuvertrauen und der
Erkenntnis: "Gottes Liebe kann nicht käuflich sein!" Mit diesem Ruf
habe Martin Luther eine gewaltige Befreiungsbewegung angestoßen.

Im zweiten Abschnitt ("Fromm und politisch") stellt die Kundgebung
dar, dass die Spiritualität der Reformatoren im Wort Gottes
gegründet, aber auch auf den Alltag ausgerichtet sei. "Sie ist fromm
und zugleich leidenschaftlich politisch engagiert zum Wohl der
Menschen. Gottesdienst, so die Kundgebung, geschehe "im Dienst an
und im Dank für Gottes Wort", aber auch im Dienst am Mitmenschen.
"Kampf und Kontemplation, Arbeit und ihre heilsame Unterbrechung"
gehörten zusammen, denn: "Der Schufterei des Alltags hat Gott Grenzen
gesetzt, indem er Unterbrechungen im Tageslauf und einen Tag der Ruhe
einsetzte."

Im dritten Abschnitt ("Scheitern und Versöhnen") erwägt die
Kundgebung, wie die Frage der Reformation "Wie bekomme ich einen
gnädigen Gott?" heute Gestalt gewinne. Diese Frage, so die
Kundgebung, begegne uns heute in der Suche nach dem Sinn des Lebens,
im Ringen um Anerkennung und Bestätigung und in der Suche des
Menschen nach dem Glück. "Die Erfahrung ist die gleiche geblieben:
Das Leben bleibt Fragment. Das perfekte Leben gibt es nicht. Und den
Sinn seines Lebens kann sich niemand selbst aus eigener Kraft geben.
Erfolg und Gelingen sind unverfügbar." Vor dem Horizont der Ewigkeit
werfe die Botschaft von Kreuz und Auferstehung Licht auf die dunklen
und unversöhnten Seiten des menschlichen Lebens."

Im vierten Abschnitt ("Wahrheit und Liebe") charakterisiert die
Kundgebung Religion als die ",existentiellen, persönlichsten und
letzten Fragen" des Lebens. Weil dies so sei, provoziere Religion
unweigerlich den "Streit um die Wahrheit". Wer das Wagnis eingehe,
alles auf die Karte seines Glaubens zu setzen, der laufe Gefahr,
anderen Glaubensüberzeugungen den Respekt zu versagen: "Wenn Wahrheit
und Liebe in einen Gegensatz zueinander geraten, wird der Glaube
intolerant."

Die reformatorischen Kirchen, so die Kundgebung weiter, "nehmen
ihre Verantwortung für die Gestaltung dieser Welt wahr, indem sie in
die Bemühungen um den Frieden in der Welt die Erkenntnis einbringen:
Die Religionen bieten Potentiale zur Versöhnung und zum Frieden. Ihre
Selbstreinigung vom Geist der Gewalt ist die zwingende Konsequenz aus
ihrer Geschichte."

Im fünften Abschnitt ("Teilhabe und Gemeinschaft") verleiht die
Kundgebung der Hoffnung Ausdruck, "dass unsere Gesellschaft so
gestaltet werden kann, dass gerechte Teilhabe für alle gewährleistet
ist und niemand verloren geht." Schließlich regt die Synode der
Evangelischen Kirche in Deutschland ihre Mitgliedskirchen und die
Kirchengemeinden an, die Zeit bis zum Reformationsjubiläum 2017 für
eine "intensive Beschäftigung mit den Kernthemen reformatorischen
Glaubens zu nutzen" und zwar unter den Leitfragen: "Was ist das
Reformatorische an der Reformation? Was bedeutet die Rechtfertigung
des Sünders für uns und für die nächste Generation? Wie berührt der
Glaube mein Herz? Wie können wir unsere Weltverantwortung
wahrnehmen?"

Zu solchen Klärungen gehöre auch, sich mit dem eigenen Schatten
auseinanderzusetzen, denn: "Wo in unserer Geschichte falsche
Entscheidungen getroffen wurden oder Unheil angerichtet wurde,
braucht es Erinnerung, Klarheit und Distanzierung. Die Botschaft von
der Versöhnung benötigen zuerst die, die sie verkündigen."

Abschließend stellt die Kundgebung fest: "Die Reformation ist
Weltbürgerin geworden. Sie gehört allen. In 500 Jahren hat sie sich
über die Welt ausgebreitet und ist in ungezählten Ländern und
Kulturen heimisch geworden. Von dort wandert sie zurück und beschenkt
uns mit den Erfahrungen aus aller Welt. Wir freuen uns auf ein
Jubiläum, das wir gemeinsam mit den Kirchen in Europa und weltweit
feiern wollen."

Timmendorfer Strand, 7. November 2012

Pressestelle der EKD

Reinhard Mawick

www.ekd.de/synode2012

KUNDGEBUNG

der 11. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland

auf ihrer 5. Tagung

Theologische Impulse auf dem Weg zum Reformationsjubiläum 2017

"Am Anfang war das Wort..."

"Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze
Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort will ich die
Netze auswerfen. Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge
Fische und ihre Netze begannen zu reißen." (Lukas 5, 5-6)

Ein Wagnis bringt die Wende: "aber auf dein Wort...". Simon Petrus
und die anderen Fischer vertrauen dem Wort Jesu. Das ändert alles.
Den Fang, den Tag, das Leben.

Christinnen und Christen zu allen Zeiten sind dieses Wagnis
eingegangen: Auf nichts anderes zu vertrauen als auf Jesus Christus
und sein Wort.

1. Todesangst und Lebenshoffnung

Wo kommen wir her? "Da unser Herr und Meister Jesus spricht: 'Tut
Buße' usw. (Mt 4,17), hat er gewollt, daß das ganze Leben der
Gläubigen Buße sein soll." (These 1 der 95 Thesen Martin Luthers)

Mit diesem Wagnis beginnt auch die Reformation. Gefangen in Angst,
auf der Suche nach dem gnädigen Gott, leidet der Mönch Martin Luther
an seiner Kirche. Fromme Übungen for-melhaft abzuleisten oder Gnade
durch den Kauf von Ablassbriefen zu erlangen, erkennt er als Irrweg.
Gottes Liebe kann nicht käuflich sein!

So setzt er alles auf eine Hoffnung: Solus Christus, Christus
allein - das Wort Gottes, das am Anfang war, das Mensch wurde und in
dem alles neu wird. Mit seinen 95 Thesen will er wachrütteln und zum
Disput einladen. Öffentlich. Diese Einladung schlägt er am 31.
Oktober 1517 an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg.

Buße ist Umkehr, die Gottes Liebe in uns bewirkt. Die Fülle dieser
Liebe verwandelt das ganze Leben, das Hoffen und Bangen, das Tun und
das Lassen. Sie stellt den Menschen im Angesicht Gottes vor die
Entscheidung, wonach er sein Leben ausrichten will.

Mit dem Ruf zur Buße stößt Martin Luther eine gewaltige
Befreiungsbewegung an. Gott will den Menschen befreien aus innerer
Enge und Selbstüberschätzung, von seinem Hang, wie Gott sein zu
wollen und darum wie der Teufel zu handeln.

Diese Liebe Gottes kann dem Menschen zur Heimat werden. Geborgen
in Gottes Liebe wird der Mensch frei von sich selbst, frei für Gott
und den Nächsten, frei zur Hoffnung für das Leben. Das Netz ist voll
- ohne unser Zutun.

Wo stehen wir? In Gottes Liebe beheimatet vertrauen wir auf das
Wunder des Fischfangs. Gott kann alles wenden. Diese Zusage gilt auch
heute allen Menschen in ihren Todes- und Existenzängsten, in
Sinnkrisen, unter den Lasten des Alltags und unter dem Druck der
Leistungserwartungen, im Kummer über eigene Grenzen und im Zorn über
Unrecht und Gewalt in der Welt. Frei geworden vom Druck, in diesen
Nöten nur auf sich selbst vertrauen zu müssen, hält der Glaube die
Frage nach Gott wach und ermutigt zur Verantwortung für die Nächsten
und die Welt.

Gleichzeitig ist Gott für viele Menschen kein Thema mehr. Unsere
Sprache erreicht sie nicht mehr. Damit können wir uns nicht abfinden.

Was hoffen wir? Wir hoffen auf Umkehr zu einem Leben, in dem Gott
und darum auch der Mensch im Mittel-punkt steht. Wir hoffen, dass
viele Menschen mitten in ihren Nacht-Erfahrungen Vertrauen fassen
können und ihr Leben von Gottes Liebe neu ausrichten lassen. Obwohl
der Mensch dem Menschen so oft ein Wolf ist, geben wir die Hoffnung
nicht auf, dass der von Gottes Liebe verwandelte Mensch dem Menschen
ein Mensch sein kann. "Wir sollen Menschen und nicht Gott sein. Das
ist die Summa!" (Martin Luther 1530 in einem Brief an Spalatin)

Die Bibel ist der Grund, der uns trägt. Auf diesem Boden finden
wir Antworten. Das von Mar-tin Luther wiederentdeckte Evangelium
macht uns frei, zu glauben, zu hoffen und zu lieben.

2. Fromm und politisch

Wo kommen wir her? "Dass wir als Jünger Christi erkannt werden, so
wir einander lieb haben, wie Christus uns hat lieb gehabt, darin
steht das Gesetz und die Propheten, der rechte wahre Gottesdienst..."
(Huldrich Zwingli in seinem Entwurf für Berchtold Hallers
Schlussansprache 1528)

Die Jünger vertrauen Jesus Christus mitten im Alltag ihrer Arbeit.
Sie erleben das Wunder, dass nach vergeblichem Mühen ihre Netze voll
sind. Auf dieses Wunder hoffen Menschen bis heute, mitten in ihrer
Arbeit, so mühsam sie sein und so vergeblich sie scheinen mag.

Die Spiritualität der Reformatoren gründet im Wort Gottes und ist
auf den Alltag ausgerichtet. Sie ist fromm und zugleich
leidenschaftlich politisch engagiert zum Wohl der Menschen.

Die Kirchenmusik und insbesondere der Gesang der Gemeinde erlebten
einen nie gekannten Aufschwung. Gottesdienst geschieht im Dienst an
und im Dank für Gottes Wort, aber auch im Dienst am Mitmenschen.
"Arbeite so, als ob du beten würdest; bete so, als ob du arbeiten
würdest." (Martin Luther) Kampf und Kontemplation, Arbeit und ihre
heilsame Unterbrechung gehören zusammen: Der Schufterei des Alltags
hat Gott Grenzen gesetzt, indem er Unterbrechungen im Tageslauf und
einen Tag der Ruhe einsetzte.

Wo stehen wir? Der Gottesdienst ist Quelle christlichen Lebens.
Hier ist Konzentration auf Gottes Wort, wo andernorts Zerstreuung
ist; hier ist Gemeinschaft, wo andernorts Vereinsamung ist, hier ist
Stille, wo andernorts Lärm ist. Evangelische Gottesdienstkultur
versteht sich auf die fröhliche Feier des Abendmahls, auf die
kraftvolle Predigt des Evangeliums, auf Gesang und Musik. Sie dient
Gott mit Herzen, Mund und Händen. Sie will Menschen geistliche Heimat
sein.

Der Alltag ist Herausforderung für den Glauben. Die verschiedenen
reformatorischen Strö-mungen haben auf unterschiedliche Weise ein
entschiedenes Ethos alltäglicher Bewährung hervorgebracht. Sie haben
sich für die gerechte Gestaltung des Gemeinwesens eingesetzt. Die
vielfältige soziale Arbeit der Kirche, die öffentlichen
Stellungnahmen zu sozialen Fragen, aber auch die Diakonie in
Unternehmen, Werken und in den Kirchengemeinden legen davon ein
eindrucksvolles Zeugnis ab. Dieses Erbe führen wir weiter.

Was hoffen wir? Wir hoffen, dass der Weg, evangelischen
Gottesdienst zum Lobe Gottes mit allen Sinnen zu feiern und ihn nicht
intellektuell zu verengen, weitergegangen wird. Wir freuen uns am
Reich-tum evangelischer Spiritualität.

Die Leistungen in Ausbildung, Beruf und häuslicher Arbeit, die das
protestantische Ethos hervorgebracht hat, bedürfen einer starken
geistlichen Verankerung. Solcher Verankerung eröffnen sich auch Wege
zur Umkehr in den sozialen und politischen Nöten der Zeit wie
bei-spielsweise die Entwicklung anderer Formen des Wachstums.

3. Scheitern und Versöhnen

Wo kommen wir her? "Was ist dein einziger Trost im Leben und im
Sterben? Dass ich mit Leib und Seele im Leben und im Sterben, nicht
mir, sondern meinem getreuen Heiland Jesus Christus gehöre. Er hat
mit seinem teuren Blut für alle meine Sünden vollkommen bezahlt und
mich aus aller Gewalt des Teufels erlöst." (aus der 1. Frage des
Heidelberger Katechismus)

Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? - diese Frage trieb damals
nicht nur die Reformato-ren um. Im ausgehenden Mittelalter wurde dies
vielen Menschen zu ihrer zentralen Lebens-frage. Wie kann ich selig
werden, wo mein Leben doch durchzogen ist von Scheitern und Schuld?

Unser Netz ist voll, erleben die Jünger. Gott schenkt seine Liebe
konkret. Die Einsicht in die Vergeblichkeit des eigenen Tuns
verwandelt sich in die Erfahrung der Fülle. In der Mitte der
Theologie aller Reformatoren steht das "pro me" - das "für mich". Die
Entdeckung, dass Christus gerade "für mich" gestorben und
auferstanden ist, ist für sie die Antwort auf ihre zentrale Frage:
Selig werden kann niemand aus eigener Kraft. Nur weil Gott uns unser
Scheitern und unsere Schuld vergibt, wird unser Leben mit Gott und
mit sich selbst versöhnt.

Wo stehen wir? Die Frage nach der Versöhnung und der
Rechtfertigung ist geblieben, auch wenn ihr Gewand anders aussieht.
Sie begegnet uns heute in der Suche nach dem Sinn des Lebens, in der
Suche nach Verwirklichung von Sehnsüchten und Lebenszielen, im Ringen
um Anerkennung und Bestätigung, in der Suche nach dem Glück. Die
Erfahrung ist die gleiche geblieben: Das Leben bleibt Fragment. Das
perfekte Leben gibt es nicht. Und den Sinn seines Lebens kann sich
niemand selbst aus eigener Kraft geben. Erfolg und Gelingen sind
unverfügbar. Sie gründen nicht in fortwährender Leistung und im
Streben nach unbegrenztem Wachstum. Die Botschaft von Kreuz und
Auferstehung wirft vor dem Horizont der Ewigkeit Licht auf die
dunklen und unversöhnten Seiten des menschlichen Lebens.

Das christliche Grundmotiv des Versöhnungshandelns Gottes im
Kreuzestod Jesu war und ist niemals selbsterklärend gewesen, es weckt
in vielen Menschen Zweifel und Fragen. Schon in der Bibel sind
unterschiedliche Deutungen des Todes Christi angelegt, sie umkreisen
alle das eine Geheimnis des Gnadenwillens Gottes in Jesus Christus.

Was hoffen wir? Die Lutherdekade und die Vorbereitung des
Reformationsjubiläums 2017 verstehen wir als Chance, am zentralen
Thema des Versöhnungshandelns Gottes im Kreuzestod Jesu ge-meinsam
weiterzuarbeiten, und laden alle Christen, gleich welcher Konfession,
ein, um seine Aktualisierung zu ringen. Auch alle anderen laden wir
ein, sich dem Geheimnis von der Erlö-sung durch Jesu Tod und
Auferstehung zu nähern und den weiten Horizont christlicher Hoff-nung
auf die Ewigkeit bei Gott zu entdecken. Wir hoffen, dass sich mit dem
Weg zum Re-formationsjubiläum 2017 ein Aufbruch verbindet, diese
Botschaft kraftvoll und zugleich ver-ständlich zu allen Menschen zu
bringen.

Überall auf der Welt werden unversöhnliche Wunden geschlagen und
Gräben aufgerissen. Versöhnung darf nicht die "Unterscheidung der
Geister" ersetzen. Wir hoffen, einen Beitrag zur Analyse von Unrecht
und Konflikten leisten und auf der Grundlage wahrhaftiger Dialoge zur
Versöhnung beitragen zu können.

4. Wahrheit und Liebe

Wo kommen wir her? "All unsere Weisheit, sofern sie wirklich den
Namen Weisheit verdient und wahr und zuver-lässig ist, besteht in
zwei Stücken: der Erkenntnis Gottes und unserer Selbsterkenntnis."
(Johannes Calvin, Institutio, 1,1)

Wer ist der Mensch im Angesicht Gottes? Was ist der Mensch, dass
Gott ihm die Netze füllt? Was soll er glauben, was soll er tun und
was erlöst ihn? Um die Wahrheit hinter diesen Fragen wurde damals
gerungen.

In der Religion geht es um die existenziellen, um die
persönlichsten und letzten Fragen des Lebens. Deshalb provoziert
Religion unweigerlich den Streit um die Wahrheit. Wer das Wag-nis
eingeht, alles auf die Karte seines Glaubens zu setzen, läuft Gefahr,
anderen Glaubens-überzeugungen den Respekt zu versagen. Wenn Wahrheit
und Liebe in einen Gegensatz zueinander geraten, wird der Glaube
intolerant.

Dieser Gefahr waren auch die Reformatoren ausgesetzt. Sie waren
begeistert und beseelt von ihrer befreienden Entdeckung und forderten
für sich Freiheit der Gewissen. Ihre Begeis-terung warf zugleich
Schatten: Martin Luthers Ausfälle gegen die Juden oder gegen die
Bau-ern im Bauernkrieg; die Verfolgung Andersdenkender bis hin zur
Verbrennung Michael Servets 1553 in Genf. Der Reformation war die
Toleranz in die Wiege gelegt - allzu oft blieb sie dort liegen. Es
waren dann vor allem die Freikirchen, und unter ihnen besonders die
Friedenskirchen, die den Gedanken von Toleranz und Gewissensfreiheit
in der Welt ausbrei-teten.

Die Reformatoren schätzten die Vernunft neben der Heiligen Schrift
als gottgegebene Quelle menschlicher Weisheit für das Handeln. So
trieben sie die Bildung der Menschen voran und legten eine Wurzel für
die spätere Aufklärung in Europa. Die Durchsetzung der Aufklärung
allerdings wurde von ihren Nachfolgern oft bekämpft.

Wo stehen wir? Die reformatorischen Kirchen nehmen ihre
Verantwortung für die Gestaltung dieser Welt wahr, indem sie in die
Bemühungen um den Frieden in der Welt die Erkenntnis einbringen: Die
Religionen bieten Potentiale zur Versöhnung und zum Frieden. Ihre
Selbstreinigung vom Geist der Gewalt ist die zwingende Konsequenz aus
ihrer Geschichte.

Die reformatorischen Kirchen haben auch in das Erbe der Aufklärung
Erfahrungen einzu-bringen. Sie erkennen, dass es heute nicht mehr
möglich ist, an dieses Erbe anzuknüpfen, ohne die "Dialektik der
Aufklärung" mitzudenken: Aufklärung kann umschlagen in eine
"Ver-gottung" des Menschen bei gleichzeitiger Verachtung der
Menschenwürde einzelner oder ganzer Gruppen von Menschen und in eine
entgrenzte Hochschätzung der Vernunft mit ihren vermeintlichen
Zweckrationalitäten, deren "Vernünftigkeit" nicht mehr kritisch
reflektiert wird. Darf der Mensch alles, was er kann? Wo setzt die
Verantwortung seiner Freiheit Grenzen z.B. bei der künstlichen
Veränderung des Erbguts, beim Handeln in der Finanzwirtschaft oder
beim Umgang mit den natürlichen Ressourcen? Angesichts der
anhaltenden Faszination menschenverachtender Ideologien, von
zunehmen-dem Fundamentalismus in den Religionen wie auch von hier und
da zu beobachtender Ver-nunftverdrossenheit in Kultur, Bildung und
Politik wissen wir uns den Errungenschaften der Aufklärung
verpflichtet.

Was hoffen wir? Wir hoffen, dass unser evangelisches Engagement
dazu beiträgt, dass politische Heilslehren und rassistische
Ideologien ihre Verführungskraft verlieren. Aus der Erfahrung von
Willkür und Diktatur wenden wir uns gegen alle Formen von
Menschenfeindschaft und Extremismus.

Wir hoffen, dass der Dialog mit anderen Konfessionen und
Religionen vertieft wird. In diesen Dialog bringen wir das Erbe eines
die Aufklärung schätzenden Glaubens ein, der Gott als Gott der Liebe
und Freiheit versteht.

Wir suchen in Forschung und Wissenschaft den Dialog mit allen, die
sich bemühen, diese Welt zu verstehen und zu gestalten. Wenn Vernunft
und Glaube Geschenke Gottes an den Menschen sind, kann es einen
grundsätzlichen Gegensatz zwischen beiden nicht geben. Sehr wohl aber
kann es Grenzen menschlicher Einsicht geben. Dies zu erkennen, macht
demütig.

5. Teilhabe und Gemeinschaft

Wo kommen wir her? "Denn was aus der Taufe gekrochen ist, das kann
sich rühmen, dass es schon zum Priester, Bischof und Papst geweihet
sei." (Martin Luther, An den christlichen Adel deutscher Nation,
1520)

Wer auf den Namen Jesu Christi getauft ist, hat Teil an allen
Aufgaben der Kirche. Gott teilt seine Fülle an alle aus. Alle
Getauften sind berufen, das Evangelium in Wort und Tat zu be-zeugen
und weiterzugeben. Aus diesem Grundgedanken erwuchsen Impulse für die
Kom-munikation, die Bildung und die Emanzipation.

Die Nutzung des Buchdruckes zur Verbreitung theologischer Thesen
und der Bibelüberset-zung Martin Luthers sowie der Bibelübersetzungen
der anderen Reformatoren, die Förderung des Schulwesens und die
Gründung neuer Universitäten sowie die Beteiligung von Laien in
kirchlichen Gremien waren in der Entwicklung der reformatorischen
Kirchen entscheidend für die praktische Umsetzung des "Priestertums
aller Getauften".

"Die hohen Wohltaten der Buchdruckerei sind mit Worten nicht
auszusprechen. Durch sie wird die Heilige Schrift in allen Zungen und
Sprachen eröffnet und ausgebreitet, durch sie werden alle Künste und
Wissenschaften erhalten, gemehrt und auf unsere Nachkommen
fortgepflanzt." (Martin Luther in seinen Tischreden)

Wo stehen wir? "Gemeinsam reden, gemeinsam handeln, gemeinsam
leiten" - das macht nach der Kundge-bung der EKD-Synode in Dresden
2007 die evangelische Kirchenstruktur aus. Teilhabe ist ein
reformatorischer Grundgedanke. Basis aller gerechten Teilhabe aber
sind Mündigkeit und Bildung, für die evangelische Christinnen und
Christen sich einsetzen.

Was hoffen wir? Wir hoffen, dass unsere Gesellschaft so gestaltet
wird, dass gerechte Teilhabe für alle ge-währleistet ist und niemand
verloren geht.

Der Gedanke des Priestertums aller Getauften enthält starke
Impulse für Kommunikation, Bildung und Emanzipation. Das Internet als
Medium der Weitergabe des Evangeliums und neuer Formen der Seelsorge;
weitere Anstrengungen zur Förderung der Bildung in
Kinderta-gesstätten, Schulen und Universitäten sowie die Ermutigung
zur Mitwirkung in Kirche und Gesellschaft gegen den Trend zur
Vereinzelung sind Herausforderungen, denen wir uns stel-len.

Die Reformation geht weiter

Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland regt ihre
Mitgliedskirchen und die Kir-chengemeinden an, die Zeit bis zum
Reformationsjubiläum 2017 für eine intensive Beschäf-tigung mit den
Kernthemen reformatorischen Glaubens zu nutzen: Was ist das
Reformatori-sche an der Reformation? Was bedeutet die Rechtfertigung
des Sünders für uns und für die nächste Generation? Wie berührt der
Glaube mein Herz? Wie können wir unsere Weltver-antwortung
wahrnehmen?

Zu solchen Klärungen gehört auch, sich mit dem eigenen Schatten
auseinanderzusetzen. Wo in unserer Geschichte falsche Entscheidungen
getroffen wurden oder Unheil angerichtet wurde, braucht es
Erinnerung, Klarheit und Distanzierung. Die Botschaft von der
Versöhnung benötigen zuerst die, die sie verkündigen.

Die Reformation ist Weltbürgerin geworden. Sie gehört allen. In
500 Jahren hat sie sich über die Welt ausgebreitet und ist in
ungezählten Ländern und Kulturen heimisch geworden. Von dort wandert
sie zurück und beschenkt uns mit den Erfahrungen aus aller Welt. Wir
freuen uns auf ein Jubiläum, das wir gemeinsam mit den Kirchen in
Europa und weltweit feiern wol-len.

Die Kirchen der Reformation stehen in der Nachfolge der Apostel
und leben ihre Apostolizität in der Treue zum Evangelium, in
gegenseitiger Fürbitte und Gastfreundschaft. Das
Reforma-tionsjubiläum 2017 wird die erste Jahrhundertfeier sein, bei
der die evangelischen Kirchen aufgrund der 1973 geschlossenen
Leuenberger Konkordie untereinander in Kirchen- und
Abendmahlsgemeinschaft stehen.

Die Synode ermutigt die Kirchen, im innerevangelischen und
ökumenischen Gespräch die gewachsenen Gemeinsamkeiten ebenso
herauszustellen wie die bleibenden Verletzungen einzugestehen. Uns
eint mehr, als uns trennt. Christus als Herrn der Welt für das 21.
Jahr-hundert zu verkündigen, ist die gemeinsame Aufgabe der ganzen
Christenheit.

Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland lädt alle
Menschen in Kirchen und Gemeinden, in Gesellschaft und Politik, in
Ost und West, in Nord und Süd ein, auf dem Weg zum
Reformationsjubiläum 2017 mit uns nach Wegen des Friedens und der
Gerechtigkeit aus dem Geist des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung
zu suchen.

Ein herzliches Willkommen in den Kernlanden der Reformation! Wir
freuen uns über alle, die kommen und mit uns nach Jesus Christus
fragen und auf sein Wort hin hoffen, glauben und feiern!

Timmendorfer Strand, den 7. November 2012

Die Präses der Synode

der Evangelischen Kirche in Deutschland

Katrin Göring-Eckardt



Pressekontakt:
Evangelische Kirche in Deutschland
Reinhard Mawick
Herrenhäuser Strasse 12
D-30419 Hannover
Telefon: 0511 - 2796 - 269
E-Mail: reinhard.mawick@ekd.de


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