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Landeszeitung Lüneburg: ,,Unterentwickeltes Problembewusstsein": Interview mit WWF-Fischereiexpertin Karoline Schacht

Geschrieben am 01-11-2012

Lüneburg (ots) - Die Dorsch-Bestände in der Ostsee haben sich so
gut erholt, dass Forscher von einem "Dorschwunder" sprechen. Auch bei
den neuen Fangquoten folgt die EU den Empfehlungen der Wissenschaft.
Dieser positive Trend wird nach Ansicht der WWF-Fischereiexpertin
Karoline Schacht aber getrübt durch EU-Subventionen für die
Modernisierung der Trawler. "Die Dramatik immer stärker erschöpfter
Fanggründe ist in der Politik noch nicht erkannt."

Ist das "Dorschwunder" in der Ostsee Folge einer umsichtigen
Fischereipolitik?

Karoline Schacht: Das "Dorschwunder" mit einer Verdreifachung der
Größe eines Bestandes, der 2007 noch kurz vor dem Zusammenbruch
stand, ist ja leider nur ein halbes Wunder -- denn diese Erholung
beschränkt sich noch auf die östliche Ostsee. Ein "Wunder" ist es
ohnehin nie, wenn sich Politiker mal richtig entscheiden. Und in
diesem Fall haben sie sich zur rechten Zeit für sehr wirkungsvolle
Maßnahmen entschieden, die Fangmengen wurden drastisch reduziert und
ein mehrjähriger Bewirtschaftungsplan eingerichtet. Allerdings haben
auch ausgesprochen günstige ökologische Rahmenbedingungen der
Entwicklung in die Karten gespielt: So gab es sehr starke Jahrgänge
bei den Nahrungsfischen der Dorsche. Die Bestände konnten sich auch
dank einer massiv eingedämmten illegalen Fischerei -- die 2007 auf 50
Prozent geschätzt wurde -- durch polnische Trawler optimal erholen.
Die Fischerei hat hier verstanden, dass sie belohnt wird, wenn sie
schonend abfischt.

Dagegen gilt der Kabeljau in der südlichen Nordsee als
ausgestorben. Sind die Trawler einfach nur nach Westen ausgewichen?

Karoline Schacht: Nein, das ist generell nicht möglich, weil
Lizenzen vergeben werden, die der Fischer als historische Fangrechte
in dem Areal geltend machen muss. Der Kabeljau ist in der Nordsee
auch nicht ausgestorben, sein Bestand wurde vielmehr derart
überfischt, dass seine Reproduktionsfähigkeit stark beeinträchtigt
war.

Wie sind die 2013er-Fangquoten für die Ostsee zu bewerten?

Karoline Schacht: Erfreulicherweise haben sich die Politiker
weitgehend an den Vorgaben der Wissenschaftler orientiert. Ausnahme
ist zum Beispiel der westliche Ostsee-Dorsch: Hier plädierten die
Forscher für eine deutliche Reduzierung, dem folgten die EU-Politiker
nicht. Dennoch ist es erfreulich, dass der Trend in die Richtung
geht, dass der Ministerrat den wissenschaftlichen Empfehlungen folgt.
Das sollte aber auch angesichts der Inves"titionen der EU keine
zufällige Momentaufnahme bleiben: Jedes Jahr beauftragt die EU den
Internationalen Rat zur Erforschung der Meere in Dänemark. 1500
Wissenschaftler arbeiten dort -- und werden gut bezahlt: über neun
Jahre gab die EU 7,5 Milliarden Euro aus, um diese Empfehlungen
erarbeiten zu lassen. Wir wundern uns, wie unglaublich lange es
möglich war, diese Empfehlungen über Bord zu kippen und deutlich
höhere festzulegen. So erhielten Europas Fischer zwar Quoten, die
legal waren, aber nicht nachhaltig.

Wenn hochentwickelte, zum Teil verbündete Anrainerstaaten
Jahrzehnte brauchten, um einen vernünftigen Trend beim
Fischmanagement hinzubekommen, was ist dann von konkurrierenden
Staaten in Asien zu erwarten?

Karoline Schacht: Die aufstrebenden Länder Südostasiens fischen
schon längst nicht mehr nur vor der eigenen Haustür, sondern haben
ihre Flotten auf große Fahrt geschickt. Taiwanesische und chinesische
Schiffe erscheinen zum Fischen auch vor Afrika und Südamerika.
Weltweit ist in den letzten 50 Jahren der Radius der
Fischereiaktivitäten -- auch durch die Flotte der EU -- drastisch
vergrößert worden, auch weil heimische Bestände die Erträge nicht
mehr hergaben.

Seit Ende der achtziger Jahren stagnieren die Fangerträge, obwohl
sich die Fläche der Fanggründe verdreifachte und die Flotten
aufgerüstet wurden. Kann nur noch ein mehrjähriges Fangmoratorium die
am stärksten belasteten Bestände retten?

Karoline Schacht: Die Fischerei für eine gewisse Zeit
einzustellen, ist in der Tat eine Möglichkeit. Sie greift aber vor
allem bei Arten mit kurzer Generationsdauer und hoher
Reproduktionsrate wie der Makrele. Arten mit langsamer Reproduktion
wie Grundfische oder große Fische wie der Kabeljau bräuchten aber
entsprechend längere Fangstopps, die politisch kaum durchsetzbar
sind. Weltweit steigt seit Jahrzehnten der Aufwand, um wenigstens
gleichbleibende Erträge anzulanden. Zwar verkleinern nun einige
Fischfangnationen ihre Flotten, modernisieren sie aber zugleich. Die
EU hat dafür in 12 Jahren 1,3 Milliarden Euro aufgebracht. Am Ende
steht zwar eine zahlenmäßig kleinere Flotte, die aber in ihrer
Fangeffizienz stärker ist als vorher. Sparsamere Motoren und
modernisierte Technik ermöglichen den Schiffen, länger draußen zu
bleiben und mehr zu fischen -- ein Webfehler bei allen Versuchen,
Fischfangkapazitäten zu verringern. So haben die europäischen
Fischereiminister vergangene Woche einen Tag nach den erfreulichen
Quoten für die Ostsee auf Druck der südeuropäischen Länder erneut die
subventionierte Modernisierung der Fangflotte aufgerufen. Auch wenn
Deutschland bei diesen Abstimmungen eine gute Figur gemacht hat, ist
die Gesamtentwicklung bedrückend.

Schon 1982 hatte sich die Weltgemeinschaft darauf geeinigt, die
Fischerei zu drosseln, damit sich Bestände erholen können. 2002
wollte sie dies umsetzen. Wo stehen wir jetzt?

Karoline Schacht: Wir stehen jetzt an dem Punkt, an dem in unserem
Hausaufgabenheft vermerkt ist, dass bisher alles Notwendige versäumt
wurde, so dass nun extrem drastische Maßnahmen notwendig sind, um das
auf UN-Ebene verabredete Ziel einer nachhaltigen Fischerei bis 2015
noch zu erreichen. Es kristallisiert sich als kleinster gemeinsamer
Nenner heraus, zumindest den Fischereidruck so herunterzufahren, dass
sich die Bestände zumindest auf lange Sicht erholen können. Das ist
aus unsere Sicht aber nicht genug, weil auf diese Art die Fischerei
im Vordergrund steht und nicht die Erholung der Bestände. Weil das
Nachhaltigkeitsziel der UN nicht bindend ist, rückt es so in weite
Ferne. Bei dieser Politik sind die Regierungen treibende Kräfte, die
möglichst wenig Ärger mit ihrem heimischen, volkswirtschaftlich
bedeutenden Fischereisektor haben wollen. Dazu zählt Deutschland
nicht.

Hauptimporteur von Fisch aus Entwicklungsländern ist die EU.
Exportieren wir den Raubbau?

Karoline Schacht: Das tun wir definitiv. So beobachten wir
verstärkt unternehmerische Kniffe, Schiffe zwar nicht mehr vor
Europas Küsten einzusetzen, dafür aber vor Afrika. Derzeit läuft ein
Genehmigungsverfahren für ein großes deutsches Schiff, das für eine
niederländische Produktionsgenossenschaft fährt, um arktischen Krill
fischen zu können. In europäischen Gewässern könnte dieses Schiff
nicht annähernd seine Kapazitäten auslasten. Auf diese Weise haben
wir Europäer in den vergangenen Jahren unsere Überfischungsproblem
exportiert.

Was nützen Quoten, die Fischer nur deswegen perfekt erfüllen, weil
sie alles, was sie darüber hinaus fangen, tot über Bord werfen?

Karoline Schacht: Diese Verschwendung von Ressourcen ist ein ganz
dramatisches Problem. Manche Fischereien Europas produzieren durch
den Einsatz von grundberührenden Schleppnetzen bis zu 60 Prozent
unerwünschten Beifang. Hier ist die Politik gefordert: Das
Rückwurf-Problem muss aber bereits auf See gelöst werden, etwa durch
die Förderung und Entwicklung selektiver Fischerei. Das bessere Gerät
muss auf See Standard werden. Fischtrawler, die diesen höchs"ten,
nachhaltigen Standard unterlaufen, sollten nicht länger von der EU
subventioniert werden.

Müssten Fangrechte vererb- und verkaufbar sein, damit Fischer
Verantwortung für Fanggründe entwickeln?

Karoline Schacht: Verkaufbare oder handelbare Nutzungsrechte sind
in Europa schon mehrfach getestet worden, in Dänemark etwa im
pelagischen Sektor -- also der küstenfernen Fischerei. Man hat die
großkalibrigen Schiffe, die auf Schwarmfische aus sind, diesem System
unterworfen. Mit dem Ergebnis, dass die Flotten ohne jegliche
staatliche Subvention verkleinert wurden. Das ist zwar bezogen auf
den Abbau von Überkapazitäten ein positiver Effekt. Es bestünde aber
ein erhebliches Problem, die Nutzungslizenzen zu Beginn gerecht zu
verteilen. Wer kann Urrechte auf Fanggründe geltend machen? Wen muss
man ausschließen? Wie erhalten Neueinsteiger Zugang zu diesem Markt?
Wie kann man sicherstellen, dass diejenigen, die Lizenzen erhalten,
kaufen, handeln tatsächlich auch Aktive in der Fischerei sind und man
eine Sofa-Fischerei verhindert, bei der sich ein Magnat die Fischerei
kauft? International gibt es aber interessante Modelle, bei denen
diese Hürden erkannt und übersprungen wurden, etwa, indem man
maximale Anteile festlegte. So gibt es in Island die Regel, dass in
bestimmten Fischereien nicht mehr als 12 Prozent der Quote in einer
Hand liegen dürfen. Politisch ist da aber noch ein dickes Brett zu
bohren. Die EU-Fischereiminister haben sich gerade auf eine
allgemeine Linie verständigt und wollen es den Mitgliedstaaten
überlassen, welches Quotenmanagement zum Einsatz kommt. Derzeit liegt
der Ball im Feld des Europäischen Parlamentes, das erstmals an der
Fischereigesetzgebung beteiligt wird. Dort geht es derzeit aber
drunter und drüber mit etlichen Terminverschiebungen und extrem weit
auseinander liegenden politischen Lagern.

Ist das Problembewusstsein der Politiker noch nicht sehr
ausgeprägt?

Karoline Schacht: Leider ist das Problembewusstsein gerade in den
Ländern, die am Ende das Zünglein an der Waage sein können, noch sehr
unterentwickelt. In Ländern wie Spanien, Portugal, Frankreich,
Italien oder Polen hat die Fischerei Vorrang. In Deutschland dagegen
ist die Fischerei nur ein Annex des Landwirtschaftsministeriums. Für
Deutschland wäre es leicht, eine gute, nachhaltig ausgerichtete
Position einzunehmen und sich dafür stark zu machen. Das Problem in
Deutschland ist aber, dass das Thema Fischerei in der Politik keine
Zugkraft entwickelt. Da ist es auch nicht wirklich hilfreich, dass
sich Ministerin Aigner entschieden hat, in die Landespolitik zu
wechseln, wo sie gerade so gut im Thema ist.

Das Interview führte Joachim Zießler



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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