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Landeszeitung Lüneburg: "Das missglückte Abenteuer Euro" / Prof. Dr. Wilhelm Nölling fordert eine Neuausrichtung der Gemeinschaftswährung mit Kernländern

Geschrieben am 15-12-2011

Lüneburg (ots) - Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht die
Eurozone auf dem "unumkehrbaren Weg zu einer Fiskalunion". Doch die
Finanzmärkte haben immer noch kein Vertrauen, das Gros der Ökonomen
hält die Euro-Schuldenkrise für noch lange nicht überwunden. Einer
der ersten Euro-Kritiker geht zwei Schritte weiter: Professor Dr.
Wilhelm Nölling fordert im Gespräch mit unserer Zeitung eine völlige
Neuausrichtung der Gemeinschaftswährung -- mit weniger Teilnehmern.
Denn an der "Unreparierbarkeit dieses missglückten Abenteuers Euro
hat sich nichts geändert".

Herr Prof. Dr. Nölling, Sie gehörten zu den ersten Kritikern der
Gemeinschaftswährung und haben 1998 mit drei weiteren Professoren
sogar gegen die Euro-Einführung geklagt und sind 2010 wieder nach
Karlsruhe gegangen. Sehen Sie sich heute in Ihrer Kritik und
Ablehnung bestätigt?

Prof. Dr. Wilhelm Nölling: Ja! In meinem Buch "Unser Geld" von
1993 bin ich in einer grundlegenden politisch-ökonomischen Analyse
des Maastrichter Vertrages zu diesem Ergebnis gelangt und habe schon
damals gefragt: Was tun, wenn Maastricht scheitert? In meiner neuen
Publikation "Die Euro-Höllenfahrt. Vom Elend der Politik zum Elend
der Ökonomien" habe ich die seitherige Entwicklung nachgezeichnet.

Sehen Sie Versäumnisse der Bundesregierung seit der Finanzkrise
von 2008/2009?

Nölling: Die Währungsunion ist so gebaut worden, dass -- egal, was
passiert -- eine Umkehr ausgeschlossen werden sollte. Als sich
zeigte, dass der Euro 12 von 16 Ländern dazu verführt, das heißt, es
überhaupt erst ermöglicht hatte, sowohl bei den Staatsfinanzen als
auch im Außenhandel unhaltbar große Defizite anzuhäufen, wurde auch
deutlich, dass vor allem diese Staaten wirtschaftspolitisch
handlungsunfähig gemacht worden waren. Die Finanzkrise hat die
Euro-Schönwetterperiode abrupt beendet und die Währungszone insgesamt
langfristig erschüttert. Daran haben alle Maßnahmen nichts ändern
können. Es wurde und wird mit bisher für unvorstellbar gehaltenen,
hohen Finanzmitteln zwar die Staatsverschuldung im selben Ausmaß im
Euroraum erhöht, aber an der "Unreparierbarkeit" dieses missglückten
Abenteuers nichts geändert. "Zeit kaufen" ist eben keine Ursachen
bezogene Politik.

Reichen die Beschlüsse des jüngsten EU-Gipfels aus, um die Lage an
den Finanzmärkten zu beruhigen?

Nölling: Diese Beschlüsse liegen im Einzelnen noch gar nicht auf
dem Tisch. Trotzdem wissen wir schon, dass Europas Wirtschaftsordnung
nicht nur auf Dauer mit immer größer werdender Staatsverschuldung,
sondern auch mit völlig neuen Lenkungsorganen grundlegend verändert
werden soll: Eine Staatsfinanzkontrollbehörde in Brüssel und eine
Kapitalmarktlenkungsbehörde in Luxemburg werden als riesige
Bürokratien gegründet. Wird es bald heißen: "Der freien Wirtschaft
zum Gedächtnis?" Die politischen Absichten leiden vor allem an den
bisherigen Unvollkommenheiten aller Maßnahmen. Sie sollen Antworten
in irgendeiner fernen Zukunft auf drängende, sich ständig
verschlimmernde wirtschaftliche Gegenwartsprobleme geben. Die aber
heute notwendige Vertrauensbildung wird mit Mitteln versucht, die --
sieht man vom Gelddrucken ab -- überhaupt noch nicht greifen können.
Es ist so, als ob man einem mit großen Schmerzen kämpfenden
Krebspatienten laufend mit Morphium über die Runden hilft und
verspricht: In ungefähr zwei Jahren können wir dir einen Reha-Platz
in Aussicht stellen! Ist es nicht unglaublich, dass, als Folge der
europäischen Währungsuniformierung, die Akteure der Finanzmärkte
weltweit die europäischen Politiker reihenweise vor sich hertreiben
und bestimmen können, was geschieht, um ihren Interessen zu dienen?

Können Sie die Haltung Großbritanniens nachvollziehen?

Nölling: Ja! Die Besonderheiten der Wirtschaftsverfassung
Großbritanniens, die mentalen Vorbehalte gegenüber Europa und dem
Euro in weiten Kreisen des Landes sowie die politische Zerrissenheit
und strukturellen Unzulänglichkeiten der Wirtschaft lassen es aus
meiner Sicht gar nicht zu, Großbritannien in die europäische
Geldverfassung und entstehende Planwirtschaft aufzunehmen.

Welche Auswege aus der Euro-Schuldenkrise gibt es?

Nölling: Da stellen sich zunächst zwei Fragen: Sollten wir
weitermachen wie bisher, das heißt, mit Staatsschuldenvergrößerung
und Gelddrucken durch die EZB nach dem Motto "Dem Gelddrucken gehört
die Zukunft" fortfahren und an der Währungsunion für alle Zeit
festhalten oder eine Regruppierung in die Wege leiten? Die für den
Euro geeigneten Kernländer sollten die neue Eurozone mit der
Europäischen Zentralbank bilden. Die übrigen Länder müssten ihre
individuelle wirtschaftspolitische Handlungsfähigkeit durch Austritt
aus dem Euro und -- möglicherweise Zusammenschlüssen mit anderen --
in einem für sie bereitstehenden Wechselkurssystem II wiedererlangen.
Ein solches System ist ja vorhanden und voll funktionsfähig. Eine
solche grundlegende Reform kann und muss unter Einbindung der EZB,
des IWF und der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich innerhalb
eines überschaubaren Zeitraumes von einem halben bis einem Jahr über
die europäische Bühne gebracht werden. Das halte ich für möglich --
auch wenn es außerordentliche Disruptionen und Schwierigkeiten geben
wird, die aber im Verhältnis zur Wiedergewinnung von Vitalität und
Zukunfstfähigkeit Europas das geringere Übel darstellen.

Was spricht -- außer einer steigenden Inflationsrate -- noch
dagegen, wenn die Europäische Zentralbank der US-Notenbank Fed
nacheifert und ihre Zurückhaltung gänzlich aufgibt?

Nölling: Mit den Reparaturarbeiten an der Währungsunion war schon
verbunden, europäisches Verfassungsrecht zu brechen. Die sogenannte
No-Bail-out-Klausel -- kein Teilnehmerland zahlt für ein anderes --
wurde zugunsten der Einführung einer Transferunion über Bord
geworfen. In nicht ferner Zukunft wird es zu weiteren massiven
Rechtsbrüchen und Verlagerungen von Einkommen und Vermögen der
nordeuropäischen Teilnehmer in die Mittelmeerregion kommen, um dort
Lebensstandard und Staaten vor dem Zusammenbruch zu retten. Das wird
dramatische Größenordnungen erreichen und politischen Befürwortern
dieser Samaritertaten -- insbesondere in Deutschland -- den Garaus
machen. In diesen Zusammenhang gehört, dass schon zwei weitere
"Instrumente" auf ihre Tauglichkeit zur Verlängerung der
Währungsagonie abgeklopft und für notwendig erklärt worden sind. 1.
In Bezug auf ständige und massive Eingriffe der Europäischen
Zentralbank in die Märkte für Staatsanleihen aller Teilnehmerländer
wird zwar noch so getan, als ob es sich um verbotene, geradezu obzöne
Mittel handele. Dabei ist aber vorgezeichnet, dass es immer wieder zu
Gesetzesbrüchen kommen wird, weil die Zusagen der politischen
Akteure, gewisse Grenzen nicht zu überschreiten, von der Wirklichkeit
hinweggefegt werden. Dabei bedarf es keiner besonderen Vorschulung,
um zu erkennen, dass die EZB ihren "Vorbildern" in den USA und
Großbritannien folgen wird, ja folgen muss. 2. Die Vergemeinschaftung
der öffentlichen Schulden aller Teilnehmerländer -- jedes Land haftet
eben doch für die Schulden des anderen -- wird nicht nur von Brüssel
aus offiziell angestrebt, sondern soll auch als einer dieser
"letzten" verfügbaren Befreiungsschläge zur Anwendung kommen; SPD und
Grüne tun sich besonders hervor. Hierzu passt ein Zitat aus Schillers
"Wallenstein": "Das eben ist der Fluch der bösen Tat, dass sie,
fortzeugend, immer Böses muss gebären."

Deutschland hat als Exportmacht am stärksten vom Euro profitiert.
Wäre ein Aus der Gemeinschaftswährung am Ende nicht noch teurer?

Nölling: Diese Behauptung ist falsch. Wenn nicht alle Länder
irgendwie Vorteile beim Austausch von Gütern gehabt hätten, wäre die
europäische Gemeinschaft längst zerbrochen. Für Deutschland gilt,
dass öffentliche und private Investitionen, wirtschaftliche
Wachstumsraten und Pro-Kopf-Einkommen der Deutschen während der
Euro-Zeit so stark gelitten haben, dass wir die Spitzenposition
verloren haben und heute im unteren Drittel rangieren. Kann man
wirklich davon sprechen, dass wir die größten Profiteure seien, nur
weil der Außenhandel eine hart erarbeitete stabile Größe der
deutschen Wirtschaft ist? Nein, das ist Unfug. Europa geht einem
"verlorenen Jahrzehnt" mit großen wirtschaftlichen, sozialen und
politischen Erschütterungen entgegen. Bleibt es bei der jetzigen
Maßnahmenprogrammierung, halte ich eine solche Vorhersage für
zwingend. Wir haben nur eine Chance, aus dem Sumpf von falschen
Anreizen, Inflationsgefahren und steigenden Arbeitslosenzahlen
herauszukommen, wenn wir die Währungsunion radikal umbauen. Das wird
nicht leicht sein. Aber die jetzt verfolgte Politik hat keine
Perspektiven: Weder in Bezug auf wirtschaftliches Wachstum,
Beschäftigung und stabile öffentliche Finanzen noch in Bezug auf
Vertrauen in die Dauerhaftigkeit und Funktionsfähigkeit der
europäischen Gemeinschaftswährung.

Kann sich Europa ein "Aus" des Euro leisten in Anbetracht der
Tatsache, dass auch der Dollar wegen der US-Schuldenkrise schwächelt
und China immer stärker an die Weltspitze drängt?

Nölling: Ich rede ja nicht vom "Aus", sondern von einer
Neuausrichtung. Aber ich vermute, dass man diesen Weg leider nicht
gehen wird. Einmal, weil eine falsche Diagnose -- Staatschuldenkrise
statt Währungskrise -- von den Akteuren, die früher für die
Währungsunion gekämpft haben und die es heute noch tun,
gebetsmühlenhaft verbreitet wird. Zum anderen, weil unsere Politiker
nicht sehen wollen, dass die Beibehaltung des gegenwärtigen Kurses
Europa ins "Aus" treibt. Die Euro-Kritiker der ersten Stunde sind die
wahren, um Europas Zukunft besorgten Europäer; sie zeigen, was
geschehen müsste, um den schlimmsten Fall der Währungsgeschichte, den
"Selbstmord" Europas zu verhindern. Wer aber den Kopf in den Sand
steckt, wird darin ersticken.

Das Interview führte Werner Kolbe



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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