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tz München: "Kein Film ist perfekt!" tz-Interview mit Regielegende Werner Herzog über Höhlen und Leidenschaften

Geschrieben am 27-10-2011

München (ots) - "Herzog." Regie-Star Werner Herzog (69) stellt
sich tz-Kolumnistin Ulrike Schmidt höflich vor. Das ist selten
geworden in einer supermedialen Zeit, wo der Mensch im Begriff Star
verloren scheint. Lange schon lebt der gebürtige Münchner in Los
Angeles, und nur ein Bruchteil seiner regen Filmarbeit schafft es in
die alte Heimat, wie "Die Höhle der vergessenen Träume", die am
Donnerstag bei uns im Kino anläuft. Es ist eine 3D-Reise zu den
ältesten bekannten Höhlenmalereien der Welt im südfranzösischen
Flusstal der Ardeche. Über 20000 Jahre lang war die Chauvet-Höhle von
einem Felssturz versiegelt und wurde erst 1994 entdeckt. Nur einzelne
Forscher dürfen sie seither betreten. Dass sie Werner Herzog
öffentlich zeigen kann, liegt an seiner Unbedingtheit: Er ließ sich
für einen Euro vom französischen Staat anstellen, um mit einem
kleinen Filmteam Zutritt zu erhalten... Fleece-Shirt, legere Hose;
fester, ernster Blick - so begegnet die Regielegende Werner Herzog
einem Interviewmarathon von drei Tagen am Stück - in Köln und Berlin.
Allein der Jetlag macht ihm zu schaffen. Auch die immerselben Fragen?
Werner Herzog antwortet mit seiner klaren metallischen Baritonstimme,
die auch im Film durch die Höhle führt: Nein, ich sehe das als Teil
der Notwendigkeiten und beklage mich darüber sicher nicht.

Wir haben Sie lange nicht mehr in München gesehen - keine
Sehnsucht nach der alten Heimat?

Herzog: Ja, sie fehlt mir, vor allem, dass ich den bayerischen
Dialekt nicht höre. Das ist seltsamerweise die größte aller Lücken.

Hat das Bairische Ihre Filme geprägt?

Herzog: Zwangsläufig. Ich kann und will ja meine kulturelle
Herkunft nicht beiseiteschieben. Ich glaube, das sehen Sie auch
meinen Filmen an, inklusive übrigens "Fitzcarraldo" - das kann kein
Preuße machen.

Sie sind in dem kleinen Bergdorf Sachrang aufgewachsen und wussten
mit elf Jahren noch nichts von der Existenz des Kinos; mit 17 haben
Sie Ihr erstes Telefonat geführt und mit 25 einen Silbernen Bären für
ihren ersten Film "Lebenszeichen" gewonnen. Wie haben Sie Ihre
gewaltige Bildsprache entwickelt, wie sind die Bilder in Ihnen
entstanden?

Herzog: Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Ich will dem auch gar
nicht nachgehen.

Würden Sie nie mehr nach Sachrang oder München zurückkehren
wollen?

Das ist nicht so sehr eine Frage von wollen. Ich lebe ja zum guten
Teil an den Schauplätzen meiner Filme, an den Drehorten. Das andere
ist: Ich bin in Los Angeles verheiratet, und das ist der Grund, warum
ich zum großen Teil eben nicht in München bin. Ich habe aber immer
noch Wurzeln dort und auch einen Wohnsitz.

Dann brauchen wir die Hoffnung nicht aufzugeben, Sie auch wieder
mal in München zu erleben.

Herzog: Die große Hoffnung für München bin nicht ich, das ist
Ribéry. In Los Angeles habe ich Satelliten-Fernsehen und kann die
deutsche Bundesliga sehen oder die Englische Premier League. Die
Engländer sehe ich am liebsten, weil die spielen mit einer solchen
Leidenschaft wie nirgends sonst auf der Welt.

Leidenschaft - das zeichnet all Ihre Filme aus. Ist die
Leidenschaft für Sie das Wesentliche eines Menschen?

Herzog: Nicht unbedingt. Es ist vielleicht ein Teil, ja, aber auf
diesen mich beschränken zu wollen, wenn ich mit Menschen umgehe, wäre
armselig.

Ihre Leidenschaft für Höhlenmalerei hat Sie jedenfalls zu diesem
Film inspiriert...

Herzog: Da war ich wohl 12, 13 Jahre alt, als ich im Schaufenster
einer Buchhandlung einen Band entdeckte, auf dessen Titel ein Pferd
der Lascaux-Höhle abgebildet war. Und ich wurde von einer
unbeschreiblichen Aufregung erfasst: Ich wollte dieses Buch, ich
musste es haben. Es dauerte über ein halbes Jahr, bis ich es kaufen
und öffnen konnte. Und ich spüre immer noch den Schauder von
Ehrfurcht und Staunen, den ich damals empfand. Dieses Buch war
eigentlich mein erstes selbständiges intellektuelles Interesse, und
diese Faszination für prähistorische Kultur hat mich nie verlassen.

Der Höhlenfilm war auch wieder mit einer großen physischen
Herausforderung verbunden, wie viele Ihrer Filme...

Herzog: Die Höhle ist eigentlich sehr groß, sie streckt sich über
300 Meter in die Tiefe. Aber es gab sehr beengte Verhältnisse. Mit
mir durften nur drei weitere Personen in die Höhle - während einer
Woche und nur vier Stunden pro Tag. Wir durften niemals den 60
Zentimeter breiten Metallsteg verlassen. Das ist aber alles nicht nur
eine Caprice. In anderen berühmten Höhlen, wie die von Lascaux, waren
sehr viele Touristen, und durch die Atemausdünstungen hat sich ein
Pilz an den Wänden gebildet, den man nicht richtig bekämpfen kann.
Man musste also klug und erfindungsreich genug sein, um einen guten
Film zu machen.

Das ist der Materialwiderstand...

Herzog: Jeder Film, jeder Film, egal ob bei mir oder einem anderen
Menschen auf der Welt, hat Probleme. Einen Film ohne Probleme gibt es
nicht, aber danach braucht kein Hahn zu krähen. Es kräht ja auch kein
Hahn danach, wenn Sie im Schulhof Kinder spielen sehen, dass die
Geburt eines Kindes eine radikale schmerzliche und wüste
Angelegenheit für die Mutter war. Kein Hahn kräht mehr danach.

Trotzdem formen auch die Arbeitsbedingungen den Film...

Herzog: Klar, bestimmte Sachen waren nicht möglich darzustellen,
zum Beispiel die  Fußspur eines etwa achtjährigen Jungen, daneben die
Fußspuren von einem Wolf. Wobei wir aber nicht wissen, ob der Wolf
nicht 5000 Jahre später in der Höhle war. Wir durften da nicht
einfach hinaustrampeln, weil gleich neben dem Steg relativ frische
Spuren von Höhlenbären sind, und diese Gattung war schon vor 25000
Jahren ausgestorben.

Wie berührt einen so ein Abdruck des Lebens, der 25000 Jahre
überdauert hat?

Herzog: Diese Zeitabläufe sind überhaupt völlig unbegreifbar für
uns. Man weiß, dass ein Bild unfertig zurückgelassen wurde und dass
es jemand anderer vervollständigt hat - das war 5000 Jahre später.
Also ich stell mir das vor: Ich hinterlasse am Küchentisch ein halb
ausgefülltes Kreuzworträtsel und jemand anderer bringt das zu Ende -
5000 Jahre später.

Was sollte man denn über Sie denken - 5000 oder 20000 Jahre
später?

Herzog: Das ist mir schnurzegal, ist mir total und vollkommen und
endgültig egal.

Man macht aber doch  Kunst, auch um einen Teil von sich
weiterleben zu lassen...

Herzog: Sicher, es bleiben natürlich bestimmte Sachen übrig. Aber
wie darüber gedacht wird, das ist mir egal. Insgesamt aber weiß ich,
dass ich das, was ich gemacht habe, richtig gemacht habe, und
deswegen, auch wenn mich die Nachwelt nicht interessiert, würde ich
deren Urteil ohne Bange gegenüberstehen.

Mit Ihrem Film-Ende zeichnen Sie ein sehr düsteres,
pessimistisches Bild von der Zukunft...

Herzog: Ach, pessimistisch. Es geht vor allem um Sehweisen: Wie
haben die Menschen vor Jahrzehntausenden ihre Bilder gesehen, wie
sehen wir sie heute? Oder wie sehen sie unsere Kinder, deren Sehweise
sich schon radikal verändert hat, die sich in virtuellen Welten im
Internet bewegen, die Video-Games machen, die Photoshop benutzen, die
Reality-TV sehen. Wir müssen eine neue Art im Kino finden, wie wir
mit der Darstellung von der wirklichen Welt umgehen.

Sie haben sich für den Einsatz der 3D-Technik im Dokumentarfilm
entschieden - ein Novum...

Herzog: Für den Film sicher die einzige Möglichkeit. Aber wenn man
sich meine anderen Filme anschaut, in allen Fällen wäre es unsinnig
gewesen, in 3D zu arbeiten. Das war der Film, wo es notwendig war. In
dem Moment, wo ich die Höhle zum ersten Mal betreten konnte, war mir
sofort klar, das ist ein Imperativ. Das muss in 3D gedreht werden,
egal wie schwierig das wird.

Streben Sie nach dem perfekten Film?

Herzog: Nein, den gibt es nicht. Nicht nur Film, es gibt kein
perfektes Kunstwerk, das ist undenkbar. Per meiner Definition kann es
das nicht geben und ich kann mich leicht daran gewöhnen, dass jeder
meiner Filme irgendwo Defekte hat. Ich mag sie trotzdem alle.



Pressekontakt:
tz München
Redaktion
Telefon: 089 5306 505
politik@tz-online.de


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