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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema "Duden heute"

Geschrieben am 01-08-2011

Bielefeld (ots) - Wie schreibt man ein deutsches Wort? Wie
konstruiert man einen deutschen Satz? Als Konrad Duden seine
Richtlinien zu Orthographie und Grammatik veröffentlichte, gab er
einer unsicher nach sprachlicher Einheit tastenden Nation die
Richtung vor, die 1901 in ein verbindliches Regelwerk gegossen wurde.
Jahrhundertelang hatte niemand ein sprachliches Problem gesehen,
schon deshalb nicht, weil ohnehin nur eine kleine Schicht des
Schreibens mächtig war. Heute mailt jeder jedem, und der Sprachwandel
nimmt gewaltig Fahrt auf: die indogermanischen Sprachen wandeln sich
vom »synthetischen« zum »analytischen« Sprachtyp, das heißt, die
grammatische Bedeutung wird immer seltener in der Wortendung
sichtbar, sondern in Hilfswörtern - »das Haus meines Vaters« wird
»das Haus von meinem Vater«. Wo aber weltweit kommuniziert wird, da
importiert man auch den regionalen Ausdruck ins Geschriebene. Chat &
Co. tun ein Übriges, um den Mix aus Mündlichkeit und Schriftlichkeit
zu verbreiten. In diesem entspannten Klima, in dem man
umgangssprachlich besser rüber kommt, gedeiht kein Standard.
Destandardisierung allenthalben - exakt das Gegenteil von dem, was
Konrad Duden wollte. Wissenschaftler weisen übrigens auf den Einfluss
der Migranten hin, die das ihnen fremde Deutsch vereinfachen. Was
wiederum deutsche Jugendliche cool finden: »Gehste heute Disko?« ist
deutsch, nicht türkisch. Die Bewertung dieser Vorgänge ist nicht
Aufgabe der Wissenschaftler, man sucht bei ihnen vergeblich nach Rat
für »gutes« und für »schlechtes« Deutsch. Dem Privatmann hingegen
bleibt ein Urteil unbenommen. Damit könnte der Bürger dem Umbau
seiner Muttersprache entspannt entgegensehen: Es hätt noch immer
jotjejange (wofür es allerdings harsche Gegenbeispiele gibt, nicht
nur in der Geschichte Kölns). Tatsächlich aber argumentieren vor
allem die lautstärksten Wissenschaftler keineswegs wertfrei. Im
Gegenteil: Sie drängeln mit der Behauptung ins Rampenlicht, der
beschleunigte Sprachwandel sei zu begrüßen. Sie werfen den
Verteidigern der Hochsprache vor, sie hielten an Regeln fest, weil
sie bildungsferne Schichten diskriminieren wollten. Dudens
Jahrhundert war dem Projekt der Hochsprache verpflichtet. Das war
durchaus emanzipatorisch gemeint, denn es sollten alle Bürger, auch
die Einwanderer, barrierefrei kommunizieren können. Das Projekt
allerdings setzte den individuellen, zutiefst bürgerlichen Willen
voraus, sich Bildung anzueignen. Diese Zeiten sind vorbei. Die Masse
verabschiedet sich aus allen Bildungsangeboten. Die Gründe sind
vielfältig, aber eines dürfte klar sein: Das Phänomen schlägt sich in
der Sprache nieder. »Rudelgucken« für »Public Viewing« für »Kino
unter freiem Himmel« steht jetzt im Duden. Der Duden beobachtet nur
noch. Sein Projekt ist längst tot.



Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261


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