Südwest Presse: Kommentar: Schule

Ulm (ots) - Die Schule ist eine ewig währende Baustelle. Insofern
tut sich schwer, wer längst ein schönes, großes Haus der
Bildungspolitik vor seinem geistigen Auge entworfen hat. Im Alltag
muss er zuschauen, wie mühselig und langwierig der Bau seinen
Fortgang nimmt. Da ist an der einen Stelle noch Rohbau, andernorts
wird umgebaut oder gar abgerissen. Und nicht immer scheint der
Bauherr, in diesem Fall Kultusminister Helmut Rau, auch Herr der
Lage. Mal sind es die Nutzer des kunstvollen Gebäudes, mal die
Handwerker, die unzufrieden sind mit den Bauplänen. Ohnehin gibt es
nirgends so viele Beteiligte, Betroffene und selbsternannte Experten.
Die jüngsten Beispiele waren die Mannheimer Verwaltungsrichter mit
ihrem europafeindlichen Urteil zur Sprachenfolge im Rheintal und die
missglückte Disziplinierung der unbotmäßigen Hauptschulrektoren, die
forsch das dreigliedrige Schulsystems in Frage stellten.
Das Urteil war bedauerlich, weil es sprachliche Mauern gegen den
Nachbarn Frankreich aufbaut und damit nicht die Schule oder das
Exportland Baden-Württemberg voranbringt, sondern bestenfalls die
demokratisch wenig legitimierte Vorsitzende des Landeselternbeirats,
die sich in der Profilierung gegen die Kultusbürokratie gefällt. Die
erneute Strukturdebatte hingegen ist mittelfristig geeignet,
trennende Mauern zwischen Haupt- und Realschule einzureißen. Die
ersten Fälle von Kooperation, die Rau zugesteht, weisen in die
richtige Richtung. Gleichwohl sind sie vor allem Lockerungsübungen
für seine starre Regierungsfraktion, die letzte Bastion der
Dreigliedrigkeit. So behutsam, wie Rau die eher elitäre Schulpolitik
seiner Vorgängerin wieder auf die Füße zu stellen begann, könnte ihm
das gelingen. Der Druck von Eltern, Lehrern, Wählern, wird ihn auf
dem integrativen Weg unterstützen.
Strukturfragen allerdings bestimmen nur bedingt den Gebrauchswert des
Bildungsgebäudes. Entscheidend sind Ausstattung und Inhalte. So mag
es im Interesse der Lehrergewerkschaften liegen, möglichst viele
Pädagogen einzustellen. Im Interesse des Steuerzahlers ist die
vernünftige Balance zwischen Notwendigem und Bezahlbarem. Rau hat
geschickt taktiert mit der vorübergehenden Sperrung hunderter
Lehrerstellen, die nun dank guter Kassenlage wieder freigegeben
werden. Dies ist leider untergegangen in der berechtigten Kritik an
seiner Personalplanung. Es muss endlich möglich sein, die
Pädagogenausbildung so an den tatsächlichen Bedarf anzunähern, dass
einerseits nicht tausende junge Menschen nach dem Studium in die
Arbeitslosigkeit schliddern, andererseits der Staat aber dennoch eine
Auswahl treffen kann unter einem Angebot der Besten.
Weitere Mauern stehen vor dem Abbruch, so die ungerechte
Besoldungsstruktur der Hauptschullehrer, auch Kindergarten und
Grundschule werden zusehends als Einheit betrachtet. Neue Fächer wie
Natur und Technik in der gymnasialen Mittelstufe oder die mündliche
Fremdsprachenprüfung in der Realschule taugen dazu, den praktischen,
berufsvorbereitenden Charakter der Schule zu stärken.
Auch in diesem Schuljahr gilt: Schule ist nichts Starres, sondern
bleibt in ständiger Entwicklung. Richtig fertig, das weiß jeder
schwäbische Häuslebauer ohnehin, wird eine solche Großbaustelle
sowieso nie. Das sollte Trost genug sein für jene, denen zum heutigen
Unterrichtsbeginn mal wieder alles viel zu langsam oder in die
falsche Richtung läuft.

Originaltext: Südwest Presse
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