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Schädelhirnverletzungen / Mitten drin statt nur am Rand der Gesellschaft

Geschrieben am 12-03-2010

Bonn (ots) -

4. Nachsorgekongress "NeuroRehabilitation stationär - und dann...?"
11. und 12. März 2010
Forschungszentrum caesar, 53175 Bonn

Deutschland braucht bessere Therapieangebote und
Wiedereingliederungshilfen für Menschen mit Schädelhirnverletzungen.
Dazu muss aus dem Sozialgesetzbuch IX, das die Rehabilitation regelt,
verbindliches Recht werden - ein sogenanntes
Teilhabesicherungsgesetz, dass es Menschen mit Behinderungen
ermöglicht, ihre Ansprüche vor den Sozialgerichten einzuklagen. Zudem
fordern Mediziner, Psychologen, Patienten mit Schädelhirnverletzungen
und ihre Angehörigen, ambulante Rehabilitationsangebote
flächendeckend auszubauen.

Das sind die Ergebnisse des 4. Nachsorgekongresses der
Arbeitsgemeinschaft Teilhabe, Rehabilitation, Nachsorge und
Integration nach Schädelhirnverletzung in Bonn. Über 200 Experten
diskutierten dort zwei Tage lang darüber, wie sich die Nachsorge von
Hirnverletzten verbessern lässt, welche spezifischen Probleme nach
der Rehabilitation auftreten und wie Angehörige mit der Belastung
umgehen können, die ein Pflegefall durch Hirnverletzung in der
Familie bedeutet. "Seit März ist in Deutschland die
UN-Behindertenkonvention bindendes Recht und ergänzt bestehende
gesetzliche Regelungen", sagte Dr. Matthias Schmidt-Ohlemann,
Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation e.V. (DVfR)
in Heidelberg.

"Teilhabe ist ein Menschenrecht. Wir müssen dafür sorgen, dass
nicht die Betroffenen der Hilfe hinterherlaufen müssen, sondern
vielmehr die Hilfen die Betroffenen einholen und ihnen geben, was sie
brauchen", sagte auch der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung,
Hubert Hüppe (CDU), auf dem Kongress. "Betroffene haben häufig
genügend sozialrechtlich verbriefte Rechte. Doch oft hapert es in der
Praxis an deren Umsetzung." Rehabilitationsexperten und die
anwesenden behindertenpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen
waren sich darin einig, dass noch in dieser Legislaturperiode das
Sozialgesetzbuch IX, das die Rehabilitation und Teilhabe regelt, in
ein Teilhabesicherungsgesetz umgewandelt werden muss. Betroffene
können dann ihre Reha- und Teilhabeansprüche vor Gericht einklagen.

Alle zwei Minuten erleidet in Deutschland ein Mensch eine
Schädelhirnverletzung - zum Beispiel durch einen Unfall, einen Sturz
oder einen Schlaganfall. Über 20 Prozent von ihnen sind Kinder unter
zehn Jahren. Insgesamt leben in Deutschland über 800.000 Menschen mit
Beeinträchtigungen durch Schädelhirnverletzungen, Kranke mit Folgen
eines Schlaganfalls oder einer neurologischen Erkrankung noch nicht
mit eingerechnet. Für die meisten von ihnen ändert sich das Leben
radikal: Sie bleiben ihr Leben lang auf Pflege angewiesen, etwa, weil
sie im Rollstuhl sitzen, an spastischen Lähmungen leiden oder nicht
mehr sprechen können. Anderen sieht man ihre Behinderung nicht an.
Doch Persönlichkeitsveränderungen, Gedächtnisstörungen oder
Aufmerksamkeitsdefizite erschweren es ihnen, ihren Platz in der
Gesellschaft zu finden.

"Die Akutversorgung und erste Rehabilitation laufen gut, aber
anschließend fallen die Betroffenen und ihre Angehörigen in ein
Versorgungsloch", kritisiert der Neurologe Dr. Dr. Paul Reuther. "Es
gibt hervorragende, meist stationäre Schwerpunkteinrichtungen der
Rehabilitation. In Wohnortnähe, zu Hause und am Arbeitsplatz, wo das
wirkliche Leben stattfindet, ist rehabilitative Kompetenz und
Integrationshilfe jedoch nicht verfügbar", kritisiert der Experte.
Schädelhirnverletzte und ihre Angehörigen bekommen dies nach der
Entlassung zu spüren. "In dieser Zeit entsteht medizinisch, psychisch
und sozial ein Chaos: Familien fliegen auseinander, Betroffene
verlieren ihren Arbeitsplatz und ihre Freunde", weiß der ärztliche
Leiter des ambulanten neurologischen Rehabilitationscentrums
Ahrweiler und Vorsitzender des Bundesverbandes
ambulant-teilstationäre Neurorehabilitation (BV ANR e.V.).

Loch im sozialen Netz

Zum Beispiel Familie Ritter. "Das soziale Netz hat ein Loch",
stellt Heidrun Ritter fest. Ihr Sohn Torsten ist nach einem
Autounfall hirnverletzt und sitzt im Rollstuhl. Sie erlebte seine
Entlassung aus der Klinik wie einen Schock. "Im September 2001 hieß
es, wir werden jetzt entlassen. Dabei hatten uns die Ärzte zuvor
versichert, dass Torsten bleiben kann, so lange er Fortschritte macht
- und die hat er gemacht." Neben organisatorischen Problemen hatten
die Ritters Schwierigkeiten, einen Hausarzt zu finden, der die
notwendigen Medikamente und Therapien verschrieb. "So ein Fall
belastet nur das Budget, hieß es", erinnert sich Heidrun Ritter. "Wir
hatten keine Ahnung, was unserem Sohn an Pflegegeld, Therapien und
Ähnlichem zusteht und welche Anträge wir wo stellen mussten. Nach 16
Stunden Pflegearbeit fällt es schwer, noch Sozialgesetzbücher zu
lesen, geschweige denn zu verstehen." Für Angehörige wie sie fordert
die Arbeitsgemeinschaft Teilhabe mehr und bessere Informationen,
Betreuung und Entlastung.

Fallmanager verbessern die Betreuung

Immer wieder müssen Angehörige wie Heidrun Ritter für "ihre"
Patienten mühsam Therapien und Kostenübernahmen erkämpfen. Denn über
den Bedarf an Therapien von Schädelhirnverletzten herrscht häufig
keine Einigkeit zwischen Experten und Kostenträgern wie Kranken- oder
Rentenversicherung. Experten fordern deshalb für Schädelhirnverletzte
ein durchgängiges Fallmanagement: "Was fehlt, ist ein Kümmerer,
jemand, der Betroffene nach ihrer Entlassung begleitet und zum
Beispiel auch darauf achtet, welche sozialrechtliche Ansprüche
bestehen", sagt Achim Ebert, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft
Teilhabe, die zum vierten Mal den Nachsorgekongress organisiert hat.
Ein solcher Lotse koste zwar zunächst Geld. Auf der anderen Seite
spart eine individuelle, langfristige Betreuung auch Kosten, weil sie
hilft, Betroffene wieder in Arbeit zu vermitteln. Für Menschen, die
während der Arbeit oder auf dem Weg dorthin verunglücken, oder privat
Unfallversicherte gibt es solche Fallmanager bereits. Doch wer in der
Freizeit eine Schädelhirnverletzung erleidet, steht nach Ende der
Rehabilitation häufig allein da. Betroffene brauchen aber eine
Langzeitperspektive, denn Rehabilitation und Reintegration in die
Gesellschaft sind langfristige Prozesse, die unter Umständen ein
Leben lang andauern.

"Idealerweise formuliert ein Expertenteam aus Ärzten, Therapeuten,
Betroffenen und Angehörigen gemeinsam mit den Kostenträgern konkrete
individuelle Ziele", sagt Professor Dr. Wolfgang Fries, Neurologe in
der Praxis zur neurologischen Komplexbehandlung in München. "Am
Luzerner Kantonsspital läuft bereits seit 15 Jahren ein
entsprechendes Modellprojekt, das zeigt, dass ein solches System
nicht nur die Rehabilitation und Teilhabe verbessert, sondern auch
den bürokratischen Aufwand senkt." Solche gemeinsamen Entscheidungen
am runden Tisch könnten auch helfen, Therapien zeitnah anzubieten,
denn derzeit müssen Betroffene teilweise monatelang auf eine
Entscheidung zur Kostenübernahme warten. In dieser Zeit geht jedoch
wertvolles Reha-Potenzial verloren.

Eigener Behindertenstatus

Darüber hinaus fordert die Arbeitsgemeinschaft Teilhabe,
Schädelhirnverletzungen als eigenen Behindertenstatus anzuerkennen.
"Wenn jemandem ein Arm fehlt oder einer im Rollstuhl sitzt, sieht das
jeder. Doch viele Schädelhirnverletzte sehen zum Teil sehr normal
aus, haben aber dennoch manchmal massive Probleme, sich im Alltag
zurechtzufinden", erklärt Achim Ebert. Die Arbeitsgemeinschaft hofft,
dass ein eigener Behindertenstatus Entscheidungsträgern bei Behörden
und Versicherungen hilft, zu verstehen, welche spezifischen
Einschränkungen die Betroffenen haben. Zudem versprechen sich
Angehörige und Betroffene davon mehr Akzeptanz und Verständnis in der
Gesellschaft.

Abdruck (auch auszugsweise) honorarfrei, Beleg erbeten an:
Arbeitsgemeinschaft Teilhabe c/o ZNS Hannelore Kohl Stiftung,
Rochusstraße 24, 53123 Bonn

Arbeitsgemeinschaft Teilhabe Rehabilitation, Nachsorge und
Integration nach Schädelhirnverletzung

- BAG Nachsorge erworbener Hirnschäden bei Kindern und
Jugendlichen
- BDH Bundesverband Rehabilitation e.V.
- Bundesverband ambulant/teilstationäre Neurorehabilitation e.V.
- SelbsthilfeVerband - FORUM GEHIRN e.V.
- Gesellschaft für Neuropsychologie (GNP) e.V.,
- SHG "Hirnverletzte und Angehörige" Hamburg und Umgebung
- ZNS - Hannelore Kohl Stiftung

Originaltext: ZNS - Hannelore Kohl Stiftung
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/54792
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_54792.rss2

Pressekontakt:
Kontakt für Rückfragen:
Arbeitsgemeinschaft Teilhabe
c/o ZNS - Hannelore Kohl Stiftung
Rochusstraße 24, 53123 Bonn
Telefon: 02 28/9 78 45-40
Telefax: 02 28/9 78 45-55
E-Mail: n.jung@hannelore-kohl-stiftung.de
www.nachsorgekongress.de


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