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Maulkorb mit Nebenwirkungen / EU will Verbraucher schützen - und lässt sie im Dunkeln stehen

Geschrieben am 30-09-2009

Berlin (ots) - Nach Analogkäse, Formschinken und "Garnelen" aus
Fischresten wird der Ruf nach mehr Verbraucherschutz wieder lauter.
Empörte Konsumenten fordern bessere Aufklärung und Schutz vor
dubiosen Tricks der Lebensmittelbranche. Doch in einigen Bereichen
müht sich die EU längst, ihren Bürgern zur Seite zu stehen und
zweifelhafte Marketingstrategien zu unterbinden: Für
gesundheitsbezogene Angaben auf Verpackungen wird es bald eine
europaweit einheitliche Positiv-Liste geben - alle anderen Aussagen
sind dann verboten. Ob diese strenge Regulierung allerdings dem
Verbraucher nützen wird, bleibt fraglich.

Kaum eine Branche muss momentan so stark gegen ihr "Bad Boy"-Image
kämpfen wie die Nahrungsmittelindustrie: Verbandssprecher werden
regelmäßig in Talkshows und Podiumsdiskussionen zum Prügelknaben, die
Wut der Verbraucher entlädt sich stets auf Hersteller, die scheinbar
billigste Ware für teures Geld vermarkten wollen. Dass das Thema
Essen meist zu sehr emotionalen Debatten führt, liegt nahe. Nicht
nur, dass niemand minderwertige Produkte mit einem gewissen
Ekelfaktor verzehren möchte: Essen sorgt heutzutage für weit mehr aus
als Sättigung und Genuss. Essen soll die nötige Kraft für einen
hektischen Alltag geben, Essen soll fit und gesund halten. Essen ist
Lifestyle, Wellness, häufig auch ein Statussymbol. Das zumindest hat
die Werbeindustrie den Verbrauchern jahrelang vermittelt und ihnen
damit auch ein gutes Lebensgefühl gegeben. "Lecker und gesund" sind
häufig die Kriterien, nach denen der Kunde im Supermarkt Waren
aussucht - mit dem wohligen Glauben, seinem Körper etwas Gutes zu
tun.

Gigantisches Projekt führt zu Verboten

Ob und wie gesund bestimmte Lebensmittel sind, soll seit einiger
Zeit von EU-Behörden ermittelt und europaweit festgelegt werden.
Verbraucherschutz wird seit Jahren in Brüssel groß geschrieben,
haltlose Versprechen soll es in Zukunft auf Lebensmittelverpackungen
nicht mehr geben. Im Jahr 2006 trat die sogenannte
Health-Claims-Verordnung in Kraft, die gesundheitsbezogene Aussagen
wie "stärkt die Abwehrkräfte" auf Lebensmittelverpackungen regeln
sollte. Die Verordnung ist weltweit einmalig: Sie verbietet nicht
einzelne Aussagen, sondern verbietet alle Aussagen, die von der EU
nicht explizit zugelassen sind. Dass die Verantwortlichen damit ein
gigantisches Projekt ins Leben gerufen hatten, war vermutlich vielen
Beteiligten anfangs kaum klar. Doch wenn man Verbrauchern und
Herstellern mit der Regelung gerecht werden wollte, müsste nahezu das
gesamte aktuelle Wissen der Ernährungsforschung überprüft werden.

Vor gut drei Jahren beauftragte die EU-Kommission laut
Health-Claims-Verordnung (Verordnung EG 1924/2006) alle nationalen
Behörden, von der Wirtschaft zu vermarktende gesundheitsbezogene
Aussagen zu sammeln. Insgesamt 40.000 Anträge landeten in Brüssel,
die nach einer Vorauswahl zu mehr als 4.000 Eingaben zusammengefasst
wurden. Nun begann die harte Prüfungsarbeit: Sind die 4.000 Slogans
wissenschaftlich betrachtet hieb- und stichfest? Um dies
abzuschätzen, haben Experten-Gremien der Europäischen Behörde für
Lebensmittelsicherheit (EFSA, European Food Safety Authority) die
Anträge genau unter die Lupe genommen und bewertet. Bis zum
31.01.2010 sollte die Liste der genehmigten Aussagen veröffentlicht
werden. Doch die Masse an Anträgen überforderte die Behörde im
italienischen Parma, ein Überschreiten der Frist um etwa zwei Jahre
ist jetzt schon gewiss. In dieser Woche soll ein Teil der Ergebnisse
der Öffentlichkeit präsentiert werden, mit Spannung wartet die
Industrie auf die Beurteilungen.

Auswirkungen für den Verbraucher kaum absehbar

In den deutschen Medien ist über dieses Mammutprojekt bislang kaum
berichtet worden: Zu unübersichtlich ist das große Netz verschiedener
Parteien, kaum absehbar die Auswirkungen auf den Markt und die
Verbraucher. Erst jetzt dringen einige Entscheidungen der EFSA nach
außen, die an der Sinnhaftigkeit des Systems zweifeln lassen.
Offensichtlich lehnt die EFSA zahlreiche Health Claims aus formalen
Gründen ab, weil sie diese nach ihren starren Richtlinien nicht
bewerten kann. Zum Teil entbehren die von der EFSA angewandten
Bewertungsmaßstäbe allerdings jeglicher rechtlichen Grundlage und
wurden von der Behörde eigenständig eingeführt. Für die Gremien in
Parma wird die Arbeit dadurch zwar stark erleichtert, für die
Antragsteller endet das Verfahren damit jedoch häufig in einem
Negativ-Bescheid. So weigert sich die EFSA derzeit Health Claims zu
bewerten, die eine vergleichende Gesundheitsaussage machen. Darunter
fallen Hinweise auf die gesundheitsfördernde Wirkung von
Lebensmitteln, die beispielsweise wenig Transfette oder einen
niedrigen Kochsalzgehalt besitzen. Besonders ärgerlich: Auch der
Begriff "zahnfreundlich", der zusammen mit dem Zahnmännchen-Siegel
die Konsumenten seit Jahrzehnten auf wissenschaftlich getestete
Produkte hinweist, könnte der rigiden Ablehnungspolitik der EFSA zum
Opfer fallen. Der Zahnmediziner Professor Matthias Hannig von der
Universität Homburg sieht hierin alles andere als Verbraucherschutz:
"Das Verschwinden des Zahnmännchens wäre völlig kontraproduktiv. Es
ist in der Ernährungsberatung eine einfache Orientierungshilfe, mit
der Patienten leicht Produkte erkennen können, die weder Karies noch
Erosionen verursachen."

Verbraucherinformationen fallen unter den Tisch

Der Versuch der EFSA, die Prinzipien der Arzneimittelbewertung auf
Lebensmittel zu übertragen, scheint ohnehin ein fraglicher Ansatz zu
sein. Denn wer möchte den gesundheitlichen Wert eines Nahrungsmittels
einzig an bestimmten Inhaltsstoffen festmachen? Eine ganzheitliche
Betrachtung von Produkten ist in den Bewertungsschemata der EFSA
allerdings nicht vorgesehen.

Es zeigt sich ein weiteres Mal, dass die viel beschworene
Harmonisierung im vereinten Europa nicht ganz so reibungslos
verläuft, wie sich manch zuversichtlicher Eurobürger das gewünscht
hatte. Kenner der Brüsseler Strukturen machen die Konkurrenz von
nationalen und europäischen Behörden dafür verantwortlich, dass
offizielle Entscheidungen der EFSA mit bedingungsloser Härte
getroffen werden - niemand möchte sich angreifbar machen. In der
Konsequenz bedeutet dies, dass wichtige Verbraucherinformationen
wegen der strengen Bewertungsmaßstäbe künftig unter den Tisch fallen
werden.

Kritiker monieren auch die wirtschaftlichen Folgen der momentanen
Situation. Denn viele kleine und mittelständische Unternehmen werden
kaum in der Lage sein, große Humanstudien für ihre Produkte zu
finanzieren. Damit wären sie klar im Nachteil gegenüber
Großkonzernen. Doch selbst Unternehmen mit der nötigen finanziellen
Ausstattung zeigen sich verunsichert. So zog Danone im April Anträge
zurück, in der Angst Claims nicht bewilligt zu bekommen. Denn eine
Ablehnung erschwert den Versuch, im zweiten Anlauf auf die
Positivliste zu kommen. Für viele Unternehmen stellt sich nun ohnehin
die Frage: Lohnt es sich weiterhin Innovationen im Gesundheitsbereich
voranzutreiben, wenn Werbung für die Verbesserung zu einem schlecht
kalkulierbaren Faktor wird? Möglicherweise investieren Unternehmen
künftig in völlig andere Marketingstrategien, wenn gesundheitliche
Effekte nur noch sehr eingeschränkt erwähnt werden dürfen.

Keine spürbare Verbesserung des Verbraucherschutzes

Doch nicht nur die Forschungstätigkeit innerhalb der Industrie
könnte sich verändern - auch an den Universitäten und anderen
ernährungswissenschaftlichen Einrichtungen wird die
Health-Claims-Verordnung deutliche Spuren hinterlassen. Da viele
Forschungsprojekte auch an Universitäten industriefinanziert sind,
wird in Zukunft weniger Geld für Grundlagenforschung bleiben.
Professor Andreas Hahn vom Institut für Lebensmittelwissenschaft an
der Uni Hannover ist in ständigem Kontakt mit
Nahrungsmittelproduzenten und sieht die Forschung durch die
Verordnung in eine einseitige Richtung gedrängt: "Viel stärker als
bisher wird es zweckgerichtete Forschung mit dem Ziel 'günstiger'
Resultate geben, was wissenschaftlich gesehen kontraproduktiv ist!"
Denn einen langfristigen und nachhaltigen Erkenntnisgewinn liefern
nur Studien, die nicht von vorne herein auf ein bestimmtes Ergebnis
abzielen. Hahn kritisiert die überzogenen und wenig transparenten
Kriterien, nach denen die EFSA unzählige Health Claims ablehnt. Viele
Bewertungen seien nicht sachgerecht und führten dazu, dass dem
Konsumenten nützliche Informationen vorenthalten würden. Zudem
entstünden durch die Verordnung enorme Kosten, ohne dass eine
spürbare Verbesserung des Verbraucherschutzes erreicht würde. Denn
seit Langem schon wagt kaum ein Hersteller mit fragwürdigen
Heilsversprechen seine Konkurrenz auszustechen: Das Gesetz gegen
unlauteren Wettbewerb beinhaltet ein Irreführungsverbot, das all zu
dreiste Hochstapler schnell juristisch in die Schranken weist. Dr.
rer. nat. Mario Lips

Originaltext: Aktion zahnfreundlich e. V.
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/40119
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_40119.rss2

Pressekontakt:
Prof. Dr. Stefan Zimmer
1. Vorsitzender
Aktion zahnfreundlich e. V.
Danckelmannstr. 9
14059 Berlin
Tel.: 030 / 30 12 78 84
Fax: 030 / 30 12 78 85
Stefan.Zimmer@uni-wh.de
presse@zahnmaennchen.de
www.zahnmaennchen.de

Dr. Albert Bär
Director
Toothfriendly International
Bundesstraße 29
CH 4054 Basel
Schweiz
Tel.: 00 41 61 27377 00
Fax: 00 41 61 27 37 703
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