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Plädoyer für den Sonntagsschutz: "Raum für die Frage, was im Leben wirklich trägt"/ Stellungnahme des EKD-Ratsvorsitzender vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe

Geschrieben am 23-06-2009

Hannover (ots) - Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen
Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber hat sich heute
vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe nachdrücklich gegen
eine Erweiterung der Ladenöffnungszeiten am Sonntag ausgesprochen,
wie sie in Berlin seit November 2006 praktiziert werden.

Anlässlich der Verhandlung aufgrund der Verfassungsbeschwerde der
evangelischen und katholischen Kirche von Berlin gegen das geltende
Ladenöffnungsgesetz in der Bundeshauptstadt am heutigen Dienstag warb
Huber für den Erhalt des Sonntags als "Tag der kollektiven
Arbeitsunterbrechung", der Raum gebe "für die Frage, was im Leben
wirklich trägt". Der Ratsvorsitzende und Bischof der Evangelischen
Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz forderte mit
Nachdruckt, dass der ganze Sonntag aus dem Alltag herausgehoben
bleiben müsse und "im Gegenüber zur werktäglichen Beschäftigung ein
eigenes Gepräge" behalten solle. Der Sonntag mache deutlich, so Huber
weiter, "dass der Mensch nicht nur durch Arbeit und Leistung
definiert ist."

Hintergrund der Verfassungsbeschwerde, die die Evangelische Kirche
Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und das katholische
Erzbistum Berlin eingereicht haben, ist das neue Ladenöffnungsgesetz
in Berlin. Seit dem 17. November 2006 dürfen in der Bundeshauptstadt
die Geschäfte an zehn Sonn- oder Feiertagen öffnen, darunter auch an
allen vier Adventssonntagen.

Diese Regelung lehnen die Kirchen als verfassungswidrig ab und
verweisen dabei u.a. auf den besonderen Schutz von Sonn- und
Feiertagen durch Artikel 140 des Grundgesetzes. Dort wurde der
entsprechende Artikel 139 der Weimarer Reichsverfassung von 1919
unverändert übernommen, der da lautet: "Der Sonntag und die staatlich
anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der
seelischen Erbauung gesetzlich geschützt."

Hannover, den 23. Juni 2009
Pressestelle der EKD
Reinhard Mawick

Bischof Dr. Dr. h.c. Wolfgang Huber
Einleitendes Votum
bei der mündlichen Verhandlung
vor dem Bundesverfassungsgericht
zum Berliner Ladenöffnungsgesetz
Karlsruhe, 23. Juni 2009

"Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel und Erde gemacht und das
Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum
segnete der Herr den Sabbattag und heiligte ihn." So lautet die
Begründung der Sabbatheiligung in den zehn Geboten. Nach sechs Tagen
Arbeit wird das Werk Gottes durch einen Tag der Ruhe und der
Heiligung, durch einen Feiertag vollendet. Und so soll es auch das
Volk Gottes halten. Darauf beruht das Gebot: "Gedenke des
Sabbattages, dass du ihn heiligest" (2. Mose 20, 8 ff.).
Seit den Anfängen der Christenheit ist der Sonntag als Tag der
Auferstehung Jesu Christi an die Stelle des Sabbattags getreten. Er
prägt nun den Rhythmus der Woche im Gegenüber zu den sechs Werktagen:
An den sechs Werktagen sollen wir alle unsere Werke tun, den Sonntag
aber heiligen.
Den Sonntag heiligen heißt: sich öffnen für die Teilhabe an Gottes
Heiligkeit. Es bedeutet, diesen Tag aus dem Alltag herauszuheben. Der
ganze Tag soll im Gegenüber zur werktäglichen Beschäftigung ein
eigenes Gepräge erhalten. Für die persönliche Lebensführung wie für
das gemeinsame Leben ist das ein wichtiges Element der Lebenskultur.
Es macht deutlich, dass der Mensch nicht nur durch Arbeit und
Leistung definiert ist. Der Tag der kollektiven Arbeitsunterbrechung
gibt Raum für die Frage, was im Leben wirklich trägt. Der Sonntag
gewährt Zeit für Erholung und schöpferischen Neuanfang, für
persönliche Besinnung und Gemeinschaft mit anderen. Der
Gottesdienstbesuch ist nach christlicher Auffassung in der Heiligung
des Feiertags ein wichtiges, sinnstiftendes Element; aber die
prägende Bedeutung der Muße am Sonntag für den Rhythmus der Woche
gehört zum religiösen Sinn dieses Tages unlöslich hinzu. Das
biblische Gebot bezieht deshalb gerade auch die abhängig
Beschäftigten - den Knecht, den Fremdling - in die kollektive
Arbeitsunterbrechung ein, die für diesen Tag der Arbeitsruhe
vorgesehen ist.
Unsere Gesellschaftsordnung hat den wöchentlichen Wechsel zwischen
den Werktagen und dem Sonntag nicht hervorgebracht; sie hat vielmehr
diesen "Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung" vorgefunden.
Der arbeitsfreie Sonntag leitet sich aus einer Jahrhunderte, ja
Jahrtausende umfassenden Tradition her, die bereits in einem Edikt
Kaiser Konstantins des Großen im Jahr 312 rechtliche Anerkennung
fand. Diese Tradition hat das religiöse, soziale und kulturelle Leben
nachhaltig geprägt. Sie ist in unserem Land bewahrt worden, ohne
dessen wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zu schmälern. Wegen der
prägenden Bedeutung des Sonntags für das Gemeinwesen vertraut unsere
Verfassungsordnung die Gewährleistung dieses Verfassungsguts dem
besonderen Schutz des Staates an. Der Gesetzgeber ist an diese
Schutzpflicht gebunden. Ausnahmen bedürfen einer besonderen
Begründung und dürfen nicht die Pflicht zum Schutz des Sonntags außer
Kraft setzen.
In Erfüllung ihres Auftrags leisten die Kirchen ihren eigenständigen
Beitrag dazu, den Sonntag als "Tag der Arbeitsruhe und der seelischen
Erhebung" zu gestalten. Die Gemeinschaft in jeder christlichen Kirche
ist bestimmt durch die gemeinsame Ausübung der christlichen Religion.
Wenn es zu einer Verletzung des Sonntagsschutzes kommt, sind die
Kirchen davon unmittelbar betroffen. Denn sie werden dadurch in der
Ausübung ihres Auftrags behindert, dem sie - geschützt durch die
institutionelle Religionsfreiheit - nachgehen.
Der Auftrag der Kirchen zur Gestaltung des Sonntags hat in der Feier
des Gottesdienstes sein Zentrum; aber er ist nicht auf die
Gottesdienste beschränkt. Er erstreckt sich vielmehr auf eine Fülle
von religiös motivierten Veranstaltungen über den ganzen Tag. Auch
Gottesdienste werden im Übrigen nicht nur vormittags, sondern auch am
Nachmittag und Abend gefeiert. Die vielfältigen kirchlichen Angebote
am Sonntag gelten zuallererst den Kirchenmitgliedern, aber nicht nur
ihnen allein, sondern der ganzen Gesellschaft.
Viele Menschen engagieren sich ehrenamtlich in der Kirche. Ihre
Mitwirkung an kirchlichen Veranstaltungen ist für sie selbst Teil
ihrer "seelischen Erhebung"; und sie öffnet anderen dafür die Tür.
Beispielhaft seien hier die Mitglieder von Posaunenchören und
Kirchenchören oder die Helferinnen und Helfer bei der Organisation
von Gemeindefesten genannt. Bei einer Einebnung des Unterschieds
zwischen Sonntag und Werktag gehen kollektive Freiräume für
ehrenamtliches Engagement - nicht nur, aber auch, ja gerade in den
Kirchen - verloren. Das beeinträchtigt die Kirchen in der Ausübung
ihres Auftrags.
Aus Seelsorgeerfahrungen wissen wir, wie sehr Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer unter dem Konflikt leiden, sich sonntags zwischen ihrer
Berufsausübung und der Pflege ihrer religiösen Bedürfnisse oder ihrer
sozialen Kontakte entscheiden zu müssen.
Das Berliner Ladenöffnungsgesetz reizt die Geschäftigkeit an
Werktagen rund um die Uhr, auch an Samstagen, aus. Für die im Handel
Beschäftigten bleibt während der Woche kein verlässlicher Freiraum
für gemeinsame Zeiten in Familie und Freundeskreis, für kirchliches,
soziales oder kulturelles Engagement. Umso wichtiger ist es, den
Sonntag als Tag der Arbeitsruhe so umfassend wie möglich zu schützen.
Dieser Aufgabe wird das Berliner Ladenöffnungsgesetz mit seiner
Erlaubnis zur Ladenöffnung an zehn Sonntagen im Jahr nicht gerecht.
Eine besondere Bedeutung hat die Adventszeit. Sie ist eine Zeit der
Erinnerung und der Erwartung, der Vorbereitung auf das Gedenken der
Geburt Jesu Christi und der Buße zu Beginn des Kirchenjahrs, das mit
dem Ersten Advent beginnt. Schon jetzt unterliegt die
"Vorweihnachtszeit", wie man stattdessen häufig sagt, einer sehr
weitgehenden Beherrschung durch den Kommerz. Die Frage, was gefeiert
wird und wie das geschehen soll, tritt dahinter in erheblichem Maß
zurück. Die Möglichkeit, den Advent im christlichen Sinn angemessen
zu gestalten, verdichtet sich deshalb weitgehend auf die
Adventssonntage. In einer Reihe von Bundesländern wird deshalb die
Ladenöffnung für die Adventssonntage generell ausgeschlossen. Im
Berliner Ladenöffnungsgesetz geschieht das genaue Gegenteil, indem es
alle Adventssonntage für die Ladenöffnung freigibt. Damit greift es
in eklatanter und gravierender Weise in den kirchlich geprägten
Jahreslauf und den zu ihm gehörenden Festkalender ein. Ausgerechnet
in dieser Zeit gibt es in Berlin keinen geschützten Sonntag mehr. Das
Weihnachtsfest als Motor des Handels zu nutzen, den besonderen
Charakter der Adventssonntage aber mit solcher Gleichgültigkeit zu
übergehen, zeugt von einem beunruhigenden Mangel an religiöser wie
kultureller Achtung.
Regelungen dieser Art entwickeln jeweils eine Sogwirkung auf
angrenzende Länder. Diesem Sog muss Einhalt geboten werden. Im Sinne
des Sonntagsschutzes kann die Ladenöffnung am Sonntag nur die aus
besonderen Gründen gerechtfertigte Ausnahme sein; das durch die
grundgesetzliche Vorgabe geschaffene Regel-Ausnahme-Verhältnis zu
Gunsten der sonntäglichen Arbeitsruhe darf nicht Schritt für Schritt
umgekehrt werden.
Weitgehende Ladenöffnungen an Sonn- und Feiertagen, vor allem in
besonderen Festzeiten wie dem Advent, entziehen den christlichen
Kirchen wichtige Voraussetzungen dafür, ihrem Auftrag nachzukommen,
und hindern die Menschen an der seelischen Erhebung. Sie höhlen ein
prägendes, vom Verfassungsgeber ausdrücklich als schützenswert
anerkanntes Kulturgut aus. Angesichts der - gerade in Berlin - sehr
weitgehend möglichen Ladenöffnung an Werktagen ist eine Begründung
für die Aushöhlung dieses Gutes nicht ersichtlich.

Hoher Senat, wir erhoffen uns von Ihrer Entscheidung, dass
verlässliche Grenzen aufgezeigt werden und die sonst drohende
Aushöhlung des Sonntagsschutzes beendet wird.

Originaltext: EKD Evangelische Kirche in Deutschland
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/55310
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_55310.rss2

Pressekontakt:
Evangelische Kirche in Deutschland
Reinhard Mawick
Herrenhäuser Strasse 12
D-30419 Hannover
Telefon: 0511 - 2796 - 269
E-Mail: reinhard.mawick@ekd.de


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