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Lisa Karlström und Andy Gätjen in Bangladesch / Ein Theaterprojekt für die Rechte der Frauen im Islam

Geschrieben am 19-12-2008

Dhaka/Wetzlar (ots) -

- Querverweis: Bildmaterial ist abrufbar unter
http://www.presseportal.de/galerie.htx?type=obs -

Von Claudia Leipner

"Die Begegnung mit einer Frau, deren eine Gesichtshälfte von Säure
verätzt war, hat mich schockiert. Ich konnte mir nicht vorstellen,
dass die Unterdrückung von Frauen solche Formen annehmen kann", sagt
Lisa Karlström. Sie und ihr Schauspielkollege Andy Gätjen aus der
ZDF-Reihe "Der Kommissar und das Meer" haben in Bangladeschs
Hauptstadt Dhaka einen Theaterworkshop geleitet. Eingeladen hat sie
das dortige Goethe-Institut und die Entwicklungsorganisation NETZ
Bangladesch. Herausgekommen ist ein Theaterstück, das eine intensive
Diskussion über Menschenrechte ausgelöst hat.

Die beiden Hamburger sind es gewohnt im Rampenlicht zu stehen.
Doch hier in Bangladesch macht es ihnen zu schaffen, dass sie stets
von Menschen umlagert sind. Während Andy Gätjen dies als freundliches
Interesse empfindet, versucht Lisa Karlström sich in traditioneller
Kleidung vor den neugierigen Blicken zu schützen. Am fünften Tag nach
ihrer Ankunft geht es raus aus Dhaka, um ein Theaterstück von
Menschenrechtsaktivisten in Sirajganj anzusehen. Die 120.000
Einwohner zählende Stadt liegt malerisch am Ufer des
Brahmaputra-Stromes. Auf die Beine gestellt wird die Aufführung von
Ain-o-Shalish-Kendro: die angesehene Menschenrechtsorganisation
mobilisiert landesweit Theatergruppen an Schulen, in Dörfern und in
Städten. Mit ihren Stücken, die schauspielende Schüler, Dorfpoeten
und Rikscha-Fahrer selbst entwerfen, wollen sie über grundlegende
Menschenrechte aufklären. Finanziert wird das Projekt vom
Bangladesch-Hilfswerk NETZ, das seinen Sitz im hessischen Wetzlar
hat.

Die Gäste aus Deutschland treffen nach vierstündiger Fahrt so spät
ein, dass die weiblichen Mitglieder der ehrenamtlichen Theatertruppe
schon zu Hause sind. Auf dem kleinen Sandplatz, der die Bühne bildet,
stehen junge Männer. Es ist 22 Uhr. Mousumi, eine achtzehnjährige
Theateraktivistin, hat jedoch ausgeharrt. Sie berichtet, dass viele
Eltern ihre Töchter abends nicht aus dem Haus lassen, aus Angst, sie
würden von Männern belästigt oder bei verschmähter Liebe gar mit
Säure übergossen.

Dicht gedrängt folgt das Publikum dem Schauspiel, das mit
heroischen Gesten aufgeführt wird. Die Konfliktlinien verlaufen
zwischen den Mächtigen und jenen, die ihrer Rechte beraubt sind.
Meist sind es die Frauen. Häusliche Gewalt, Mitgift-Forderungen und
Kinder-Ehen sind häufig, berichtet Mousumi. Das ist nicht nur hier
so: Die Menschenrechtsberichte von Ain-o-Shalish-Kendro zählen
landesweit jährlich 150 Fälle von Säure-Attentaten. Und immer wieder
kommt es nach einer Vergewaltigung vor, dass die misshandelte Frau
von muslimischen Geistlichen noch zu Peitschenhieben verurteilt wird.
Das Ende des Theaterstücks bleibt offen - und im Nu sind Publikum und
Schauspieler auf dem Sandplatz in eine lebhafte Diskussion
verwickelt. Aktionstheater nennt sich diese Form der Aufklärung.

Zurück in der 10-Millionen-Stadt Dhaka, nach einer Fahrt entlang
ausgedehnten Wasserflächen und Reisfeldern, startet der fünftägige
Theaterworkshop. Nur drei weibliche aber dreizehn männliche
Schauspieler zählt die Gruppe. Menschenrechtler von
Ain-o-Shalish-Kendro sind genauso dabei wie Theateraktivisten aus den
Dörfern. Schauspiel ist in Bangladesch zwar beliebt und
traditionsreich, jedoch immer noch keine ehrbare Tätigkeit für
erwachsene Frauen, jedenfalls nicht in den Augen der Mehrheit der
Bevölkerung. Auch gegen diese Vorstellung zielt der mit Mitteln des
Auswärtigen Amtes geförderte Theater-Workshop. Vor allem jedoch
leistet er einen Beitrag zum interreligiösen und kulturellen Dialog
in dem zu 90 Prozent muslimisch geprägten Land.

Die gemeinsame Suche nach der Story, die am Ende des Workshops auf
die Bühne gebracht werden soll, gestaltet sich schwierig: "Wir haben
bisher nur Geschichten von Frauen gesammelt, die passiv sind und
etwas erleiden", macht Andy Gätjen in der Diskussion klar. Dann
erzählt Lisa Karlström die Lebensgeschichte der Frau, die sie wenige
Tage zuvor getroffen haben, in einem Haus für Überlebende von
Säure-Attentaten. Ihre Gesichtszüge sind entsetzlich entstellt, die
Haut ist zerstört und doch hat sie mit enormem Lebenswillen den
Schulabschluss geschafft und eine eigene Familie gegründet. Die
Workshop-Teilnehmer stimmen mit ihnen überein, dass dies die
Geschichten sind, die erzählt werden müssen. Sonja, eine
Mitarbeiterin von Ain-o-Shalish-Kendro, betont jedoch: "es soll kein
Theaterstück werden, bei dem die Frauen die Guten sind und die Männer
die Bösen". Es sei auch wichtig zu erfahren, was einen jungen Mann in
einer islamischen Gesellschaft zu solch einer Straftat treibe.

Bis zur Generalprobe bleiben nur zwei Tage. Trotz Zeitdruck und
Schlafmangel gestalten die beiden deutschen Schauspieler ein
abwechslungsreiches Trainingsprogramm. Morgens startet Karlström mit
Yogaübungen, "es hilft ihnen, sich später besser zu konzentrieren,
weil sie ihre Anspannung loswerden und den Kopf frei bekommen." Ihr
und Gätjen geht es in den Proben um die Wahrhaftigkeit und
Einfachheit der Bilder. Intensiv wird an den Ausdrucksformen gefeilt.
In einer Improvisationsübung soll mit nur einem Wort, unterschiedlich
betont, ein Dialog entstehen. Dass Schauspieler aus Bangladesch und
Deutschland sehr unterschiedlichen Theatertraditionen verbunden sind,
zeigt sich deutlich am Abend vor der Generalprobe: Zum Schrecken von
Karlström und Gätjen bauen die Bengalen das Stück kurzerhand noch
einmal vollständig um. Die Schlussszene habe nicht eindeutig zur
Diskussion aufgerufen, so Motahar Akand, der das Konzept des
Aktionstheaters für Bangladesch entwickelt hat. Theater solle auch zu
konkretem Handeln anregen. Bis spät in die Nacht wird die Neufassung
des Stücks erarbeitet, in dem eine junge Frau mit Namen "Mukti"
(deutsch: Freiheit) mit Säure übergossen wird, weil sie die Liebe
eines Mannes nicht erwidert. Jetzt steht weniger die
sozialpsychologische Begründung des Verbrechens im Mittelpunkt,
sondern eine rechtliche Frage: Wie soll über den Täter geurteilt
werden?

Nach zwei Aufführungen im Goethe-Institut - eine wurde wegen
Stromausfalls bei Kerzenschein gezeigt - haben sich die beiden
Deutschen mit der neuen Fassung abgefunden: "Es ist nicht unsere
Inszenierung. Doch wir haben an einem wichtigen Prozess mitgewirkt:
das Theater für Menschenrechte weiter zu entwickeln. Das Stück, das
jetzt am Ende herauskam, ist die Produktion der bengalischen
Schauspieler, es gehört ihnen selbst. Das ist das Entscheidende", so
Gätjen. Die Workshop-Teilnehmer jedenfalls sind begeistert: "Wir
konnten unsere Darstellung auf der Bühne sehr verbessern", sagt
Siddique, Student und Mitglied der Theatergruppe aus dem Norden des
Landes.

Dass die im Schauspiel gestellte Frage in Bangladesch tatsächlich
gestellt werden muss, zeigen die Diskussionen nach der Vorstellung.
Einige Zuschauer plädieren für eine Freilassung des Täters, weil er
Reue gezeigt habe. Eine junge Frau aus dem Publikum steht auf, ihr
Gesicht ist an jenen Stellen dunkler und verhärtet, an denen sie mit
Säure verätzt wurde. Auf einem Auge ist sie blind. Sie wendet sich
vehement dagegen. Auch die Menschenrechtler von Ain-o-Shalish-Kendro
unterstreichen, dass Säure-Attentate und andere Gewaltverbrechen
nicht verhandelbar sind und daher vor Gericht gehören.

Damit die Geschichte von Mukti erzählt wird und die Rechte der
Frauen bekannt werden, wollen die Theateraktivisten das Stück auf den
Sandplätzen in ihren Heimatorten aufführen. Auch die beiden Hamburger
haben viel gelernt, über das Leben in Bangladesch, die Arbeit der
Menschenrechtsaktivisten und das Aktionstheater. Lisa Karlström: "Die
Schauspieler hier sind so kreativ und suchen ständig nach neuen
Wegen, mit einfachsten Mittel elementar Wichtiges auszudrücken." Und
Andy Gätjen fügt an: "Zuvor wussten wir über Bangladesch, dass viele
Menschen Opfer von Armut und Überschwemmungen sind. Doch es ist enorm
ermutigend zu sehen, welche Tatkraft die Menschen hier haben, um in
Würde leben zu können."

Bild 1

Zwei Kulturen, ein Theaterprojekt: Lisa Karlström und Andy Gätjen
auf der Bühne des Goethe-Instituts in Dhaka.

Bild 2

Mukti träumt von ihrer Zukunft - während im Hintergrund ein
Säure-Attentat auf sie vorbereitet wird.

Fotos: Zahidul Karim Salim / NETZ Bangladesch

Originaltext: NETZ Bangladesch
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/73987
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_73987.rss2

Pressekontakt:
Peter Dietzel
dietzel@bangladesch.org

NETZ Bangladesch
Partnerschaft für Entwicklung und Gerechtigkeit e.V.
Moritz-Hensoldt-Str. 20
35576 Wetzlar
Tel: 06441 - 26585
www.bangladesch.org


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