(Registrieren)

Westfalen-Blatt: Das WESTALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Mobilität

Geschrieben am 25-03-2008

Bielefeld (ots) - Als der Mensch die Augen aufschlug und seine
Umgebung zum ersten Mal bewusst wahrnahm, schwor er sich: Hier
bleibst du nicht. Wir können diesen Entschluss mehr als nur erahnen,
er ist uns so vertraut, als wäre es gestern gewesen, denn unser Traum
von der Bewegung ist zeitlos. So ist denn auch seine frühe
schriftliche Fixierung göttlichen Ursprungs: »Füllet die Erde«
(Genesis 1,28) - wie hätte der mit diesem Auftrag bedachte Homo
sapiens je in seiner afrikanischen Heimat bleiben können!
Also hat er das Rad erfunden, damit es noch schneller ging, den
Eselskarren und den Streitwagen, Leonardo bereits grübelte über dem
Prinzip des Hubschraubers, und dann kamen die Techniker, die nach dem
Heißluftballon nicht lange fackelten: Dampfmaschine! Eisenbahn! Auto!
Flugzeug! Mondrakete!
»Nur in der Bewegung ist Leben«, meinte Jacob Burckhardt vor 150
Jahren. »Ein Rennwagen ist schöner als die Nike von Samothrake«,
befand ein halbes Jahrhundert später Marinetti, der Wortführer der
Futuristen. (Zwei Jahrtausende nach ihrer Entstehung fehlen der
Siegesgöttin Kopf und Arme, das erklärt es.)
Und heute? Ein beweglicheres Zeitalter hat es nie zuvor gegeben. Mit
quietschenden Reifen aus der Vollbeschäftigung in die
Hartz-IV-Sackgasse. Sogar die Krabbe ist mobil: in der Nordsee
gefischt, in Marokko gepult, im polnischen Lkw reimportiert.
Sie merken es: der Traum von der Mobilität ist brüchig, ist
museumstauglich geworden, und prompt haben sich Ostwestfalens
Ausstellungsmacher des Themas angenommen. Wieso eigentlich erst
jetzt? »Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden« (Genesis 4,12)
- nach wenigen biblischen Kapiteln bereits hatte doch das
optimistische »füllet die Erde« Risse bekommen. In der Antike betrug
die Verlustrate unter den Piloten 50 Prozent (einzig Dädalus landete
sicher). Der Schneider von Ulm, Ikarus' mittelalterlicher Epigone,
zerschellte kläglich gleich am Start. Im ersten Eisenbahngedicht, in
Chamissos »Dampfroß« von 1830, sah man die Vergangenheit die Zukunft
überrollen, und Fontane verkündete, als die Brücke am Tay unter dem
Schnellzug nach Edinburgh zusammenbrach: »Tand, Tand, ist das Gebilde
von Menschenhand.«
So weit wollen wir hier nicht gehen, auch wenn uns beim Blick auf
Ballermann-Touristen und DSDS natürlich aufgefallen ist, was
Friedrich Avist bereits 1843 notierte: »Jetzt seh ich die Leiber
fliegen, während unsre Geister kriechen.« Außerdem speist sich die
Mobilitätskritik aus mythischen oder - günstigstenfalls - aus
dichterischen Quellen, und der Geistmensch hat ja keine Ahnung von
der Welt. Womit wir beim englischen Romancier C.P. Snow angelangt
wären, genauer: in der Brust des modernen Menschen, in der, ach!,
zwei Seelen wohnen: die technische und die literarische. Jede der
beiden Seelen sei stolz darauf, die andere nicht zu verstehen,
bedauert Snow.
Der Mann hat leider recht. Wenn Sie ihn Lügen strafen wollen, gehen
Sie mal ins Museum.

Originaltext: Westfalen-Blatt
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/66306
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_66306.rss2

Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

127338

weitere Artikel:
  • Hinstorffs kleine Bildbandreihe mit drei Novitäten / Reiseziele im Buchformat: Schwerin, Wismar und Neustrelitz Rostock (ots) - Pünktlich zum Beginn der Urlaubssaison präsentiert der Hinstorff-Verlag mit den kleinen Bildbänden "Schwerin", "Wismar und die Insel Poel" sowie "Neustrelitz und Umgebung" drei Porträts lohnenswerter Ausflugsziele. Die seit einigen Jahren bei Hinstorff erscheinende Reihe der kleinen Bildbände ist inzwischen erfolgreich etabliert und wird in jedem Programm ausgebaut. Schwerin wird mit der Bundesgartenschau im Sommer 2009 große Aufmerksamkeit erregen. Doch die Stadt bietet weit mehr als Gärten: Mit seinem Schloss einen mehr...

  • Peter Rühmkorf: Für mich ist das Gedicht so etwas wie eine Monstranz Hamburg (ots) - Für den Lyriker Peter Rühmkorf ist Dichten etwas Erotisches. "Weil der Vers auch eine Kopulation ist", sagt Rühmkorf in einem Gespräch mit der ZEIT. Im Übrigen sei Dichten vor allem ein Handwerk: "Ich merke sofort, werkstattmäßig, wenn einer was hingebogen hat. Was dagegen direkt vom Himmel kommt, die guten Zeilen, die herabregnen wie Sterntaler, erkennst du gleich. Wenn du ein Leben lang dabei bist, dann weißt du aber auch, dass das Selbstgemachte genauso gut aussehen muss wie das vom Himmel Gefallene. Das ist die Kunst, mehr...

  • Wallraff will weiterhin in Moschee die "Satanischen Verse" lesen Hamburg (ots) - Der Schriftsteller Günter Wallraff hält trotz Absage an seinem Projekt fest, auf dem Gelände einer Moschee aus den "Satanischen Versen" von Salman Rushdie lesen. "Ich bin weiterhin im Gespräch, damit eine Lesung und Diskussion über Rushdies Buch in einer anderen Begegnungsstätte einer Moschee demnächst stattfinden wird!" schreibt Wallraff in der ZEIT. Der Kölner Autor sollte nach eigenen Angaben von einem Vertreter der türkischen Organisation Ditib als Unterstützer des Neubaus einer Zentralmoschee in der Stadt angeworben mehr...

  • NDR Sinfonieorchester 2008/2009: Die neue Saison - zukunftsorientiert und mit großem Programm Hamburg (ots) - Auf dem Weg zum Residenzorchester der Elbphilharmonie präsentiert sich das NDR Sinfonieorchester mit einem markanten Profil. Programm und Besetzung der Konzerte sind geprägt vom in die Zukunft gerichteten Anspruch des Orchesters, neben international renommierten Künstlerpersönlichkeiten und herausragenden Meisterwerken auch junge Musiker und originelle Programmideen vorzustellen. So gestalten in der Saison 2008/2009 neben Chefdirigent Christoph von Dohnányi und dem Ersten Gastdirigenten Alan Gilbert Pultstars wie Christoph mehr...

  • Sumo, Mangas und Feuerwerk: Japan-Tag in Düsseldorf am 14. Juni 2008 Düsseldorf (ots) - - Querverweis: Bildmaterial wird über obs versandt und ist abrufbar unter http://www.presseportal.de/galerie.htx?type=obs - Am 14. Juni verwandelt sich Düsseldorf wieder in Klein-Tokio. Zum Japan-Tag 2008 lockt ein vielfältiges und kostenloses Kulturprogramm an den Rhein. Höhepunkte sind eine zehnstündige Bühnenshow und das größte japanische Feuerwerk außerhalb Japans. Zu dem Ereignis mit über 800 Teilnehmern werden eine Million Besucher erwartet. Das beliebte Begegnungfest beginnt um 13 Uhr. Zunächst mehr...

Mehr zu dem Thema Alles rund um die Kultur

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

Pinocchio erreicht Gold in Deutschland mit Top-3-Hit "Klick Klack" - "Mein Album!" erscheint am heutigen Tag - Neue Single "Pinocchio in Moskau (Kalinka)" folgt am 17. März

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht